Sitzordnungen können von hoher Bedeutung sein. Das zeigt sich gerade in der Euro-Gruppe. Wenn sich die Finanzminister in Brüssel treffen, will es die Regel, dass links neben dem spanischen Ressortchef der griechische Kollege sitzt. Politisch gesehen hocken in der Euro-Gruppe also Rechts- und Linksaußen nebeneinander: Luis de Guindos, streng konservativer Spanier, und Yanis Varoufakis, der vom Linksbündnis zum Minister beförderte Wirtschaftsprofessor.
Die beiden Minister verfolgen in der Euro-Gruppe Ziele, die nicht miteinander vereinbar sind. De Guindos ist Teil einer konservativen Regierung, und die spanische Volkspartei will im Herbst wieder eine Wahl gewinnen. Der Minister muss daher die Spanier davon überzeugen, dass das Sparprogramm der vergangenen Jahre das richtige Rezept war, trotz 22 Prozent Arbeitslosenquote. Deshalb will er seinem Nachbarn keinen Millimeter entgegenkommen.
Immer das gleiche Ritual
Varoufakis hingegen möchte, dass die Rettungspolitik der Euro-Länder grundlegend geändert wird, und zwar sofort. Dafür haben ihn die griechischen Wähler gewählt. Setzt er sich durch, gäbe das Aufwind für die linke Protestpartei Podemos in Spanien. Das wäre schlecht für de Guindos.
Was sich zwischen den Ministern während der Treffen abspielt, bleibt vertraulich. Die Gremien bemühen sich, die knallharte nationale Interessenpolitik im Inneren der Euro-Zone mit technischen Botschaften zu übertünchen. Nach jeder Sitzung der Euro-Finanzminister in Brüssel folgt das gleiche Ritual. Drei Finanzpolitiker schreiten auf das Podium. Sie stellen sich vor transparente Stehpulte und spulen vorbereitete Sätze ab: "Wir haben wichtige Punkte im Detail besprochen"; "wir begrüßen die Beschleunigung der Gespräche durch Griechenland"; oder: "wir haben gemeinsame Interessen mit Griechenland".
Das soll vom Vollzug einer Aufgabe künden. Diese besteht daraus, dass Finanzminister aus 18 Euro-Ländern sich bemühen, mit ihrem Kollegen aus Land Nummer 19, Griechenland, die dramatische Schuldenkrise in den Griff zu bekommen. Das Ergebnis? "Es ist noch ein sehr weiter Weg", heißt es dann.
Die drei Herren auf dem Podium sind der niederländische Finanzminister Jeroen Dijsselbloem, zugleich Vorsitzender der Euro-Gruppe; der aus Frankreich stammende EU-Wirtschaftskommissar Pierre Moscovici; und der Deutsche Klaus Regling, Chef des Euro-Rettungsfonds. Nach 45 Minuten ist die Show vorbei. Was davor wirklich passiert ist in der Sitzung der Minister, erfahren Außenstehende nicht.
Warnung vor der Pleite
Es sei denn, einer der Beteiligten entschließt sich, die Gedankenspiele der Minister für einen Augenblick transparent zu machen - wie am Dienstag dieser Woche. Die Finanzminister hatten ihr Treffen beendet, einer von ihnen saß danach in einem italienischen Restaurant im Europaviertel in Brüssel. Er mochte zweierlei: seine Version über den möglichen Ausgang der griechischen Krise erzählen - und dabei anonym bleiben.
Seine Regierung halte es für die beste Lösung, wenn zwischen den Gläubigern und Griechenland "eine Vereinbarung unter Einhaltung der Regeln" geschlossen werde. Er klingt in diesem Moment nach Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble, der ja auch sagt, Deutschland werde "alles tun, um Griechenland unter verantwortbaren Konditionen in der Euro-Zone zu halten". Und zugleich warnt, dass es versehentlich zu einer Pleite des dramatisch verschuldeten Griechenlands kommen könnte, mit allen Folgen.
Schäuble weist aber auch gerne darauf hin, es sei gelegentlich besser zu schweigen. Der Minister im Restaurant hingegen macht deutlich, was seine Regierung für wahrscheinlich hält: Griechenland werde zahlungsunfähig, bevor die Verhandlungen abgeschlossen seien. Die Europäische Zentralbank müsse dann den Geldhahn zudrehen. Athen führe die Kontrolle des Kapitalverkehrs und eine Zweitwährung ein und gebe den Euro ab. Zur Linderung der Not würde die Euro-Zone ein humanitäres Programm beschließen. Das sei ein realistisches Szenario, sagt der Minister.
Er verdeutlicht, dass es bei den Verhandlungen mit Griechenland nicht zuerst um Zahlen oder Daten gehe. Es sei etwas vollkommen Neues, mit einer Partei wie Syriza zu verhandeln. Normalerweise spreche man mit gemäßigten Volksparteien. Er sagt auch, das wahre Hindernis, erfolgreich zu sein, sei Varoufakis. Wenn der griechische Minister das Wort ergreife, referiere er nur kurz über konkrete Vorhaben für das Rettungsprogramm - aber lange über grundsätzliche Reformen der Euro-Zone, die er für nötig halte. Bei vielen Kollegen sei der Eindruck entstanden, dass Varoufakis nicht für die griechische Regierung verhandele - sondern für die Linken Europas.
Niemand dränge auf eine wirkliche Vereinbarung
Beide Seiten führten keine wirtschaftliche, sondern eine ideologische Debatte. Aus diesem Umstand erkläre sich auch, warum die Krise in Griechenland noch nicht zu einem Sondergipfel geführt habe. Die Regierungschefs wollten die bisherigen Grundsätze der Rettungspolitik nicht infrage stellen, sagt der Minister. Niemand dränge auf eine wirkliche Vereinbarung, weil derjenige, der die Führung übernimmt, zu viel riskiert. Es könne "mit einem Unfall enden". Das Risiko, für ein Ausscheiden Griechenlands aus dem Euro verantwortlich gemacht zu werden, sei hoch. Das enge den Kreis der Personen ein, die den Prozess zu einem Abkommen mit Griechenland führen könnten.
Wer kommt überhaupt in Frage? EU-Kommissionschef Juncker? - "Nein." Die Europäische Zentralbank: "Nein." Bundeskanzlerin Angela Merkel? "Nein." Andererseits, sagt der Minister, wenn niemand führe, erhöhe sich automatisch das Risiko eines Scheiterns.
Vor zwei Jahren hatte die Euro-Gruppe ein ähnliches, wenngleich nicht so dramatischen Dilemma zu lösen. Zypern stand vor der Pleite, die Verhandlungen mit den Euro-Finanzministern führten ins Chaos. Damals schaltete sich EU-Ratspräsident Herman van Rompuy ein, er lud den zyprischen Staatspräsidenten zu einem bilateralen Gespräch ein. Sie handelten ein Abkommen aus. Inzwischen hat aber Donald Tusk das Amt der Moderators zwischen den EU-Staaten übernommen. Und Tusk zeigt keine Anzeichen, sich um die Krise in der Euro-Zone kümmern zu wollen.
Guindos wird seinen Sitznachbarn womöglich nicht vermissen
Die Szenarien, die der Minister im Restaurant vertraulich vorträgt, sind in den Hauptstädten der anderen Euro-Länder bekannt. In Slowenien, der Slowakei, Österreich, Spanien und Portugal wächst der Widerstand gegen Zugeständnisse an Athen. Um die ideologischen Spannungen zu befrieden, wird die Idee einer Volksabstimmung ventiliert. Der Charme besteht darin, dass statt der Links-rechts Regierung das griechische Volk über seine Zukunft entscheiden würde.
Bundesfinanzminister Schäuble sagte auf dem jüngsten Treffen der Minister, ein Referendum sei vielleicht der geeignete Weg. Die griechischen Bürger könnten abstimmen, ob sie im Euro bleiben wollten und dafür bereit seien, die Regeln einzuhalten. Was der Minister unausgesprochen ließ: Anders als im Jahr 2011, als die damalige griechische Regierung erstmals ein Referendum plante, zu dem es nie kam, hält die Euro-Zone heute die Folgen eines negativen Votums für tragbar. Der Spanier de Guindos würde seinen Sitznachbarn wohl kaum vermissen.