Verhandlungen im US-Haushaltsstreit:Gute alte Feinde

Verhandlungen im US-Haushaltsstreit: Ein Bild aus besseren Tagen: Vor einem halben Jahr saß Barack Obama noch mit Harry Reid (2.v.r.) und Mitch McConnell (r.) beim Mittagessen.

Ein Bild aus besseren Tagen: Vor einem halben Jahr saß Barack Obama noch mit Harry Reid (2.v.r.) und Mitch McConnell (r.) beim Mittagessen.

(Foto: Pete Souza/White House)

Der eine fühlt links und gilt als Obamas Mentor, der andere als ärgster Widersacher des Präsidenten: Die Fraktionsführer im Senat, Harry Reid und Mitch McConnell, sollen Amerika vor dem Sturz von der Haushaltsklippe bewahren. Die beiden Politiker bekämpfen sich seit Jahren mit allen Tricks - doch sie eint das Gespür für den kleinsten gemeinsamen Nenner. Es ist zweifelhaft, ob das für einen Deal genügt.

Von Christian Wernicke, Washington

Die Herren ähneln sich, äußerlich wenigstens. Beide bevorzugen gedeckte Anzüge mit Nadelstreifen, tragen rote Krawatten, ordnen ihr längst ergrautes Haar zum akkuraten Seitenscheitel. Sie heucheln Wertschätzung füreinander, nennen sich "lieber Freund" und beim Vornamen. Und einer wie der andere legt sein zerknittertes Gesicht in sorgenvolle Falten, sobald der "ehrenwerte Kollege" redet.

Neulich haben Harry Reid und Mitch McConnell, als Fraktionsführer der Demokraten und Republikaner die mächtigsten Männer im US-Senat, es eine knappe Stunde nebeneinander ausgehalten. Schulter an Schulter hockten sie im November auf zwei Holzstühlen, um in einer Fernsehsendung zu erklären, warum Amerikas Kongress ständig an sich selbst scheitert und von Krise zu Krise dümpelt.

Es war - nach über einem Vierteljahrhundert gemeinsam verlebter Karriere im Senat - ihr erstes gemeinsames Interview. Die Atmosphäre sei angespannt und "sehr kalt" gewesen, hat der CBS-Reporter Steve Kroft hinterher erzählt: "Beide haben sich die ganze Zeit nicht ein einziges Mal angeschaut." Die Polit-Profis hätten es beide geschickt verstanden, "so gut wie keine unserer Fragen zu beantworten". Nur eine klare Erkenntnis gewann Kroft: "Keiner traut dem anderen, keiner glaubt, dass der andere Wort hält."

Dennoch, Amerika blieb am Wochenende nichts anderes übrig, als auf eine Annäherung ausgerechnet dieser beiden Männer zu hoffen. Sonst würde ihr Land "über die Klippe gehen" - über jene Haushaltsklippe, die mit automatischen Steuererhöhungen und Budgetkürzungen dem Land einen erneuten Wirtschaftseinbruch zu bescheren drohte.

McConnell saß am Schreibtisch, Reid in seiner Wohnung

Sämtliche anderen Verhandlungen waren zuvor gescheitert, nach einer Krisensitzung im Weißen Haus beauftragte Präsident Barack Obama die beiden Widersacher, sich im Senat an einen letzten, wenigstens "kleinen Klippen-Kompromiss" zu versuchen.

Unerbittlich stritten beide Lager vor allem um einen Schwellenwert: von welcher Einkommenshöhe an die bisherigen Steuernachlässe auslaufen und reichere US-Bürger mehr Tribut zollen sollen. Die Demokraten verlangen höhere Steuersätze schon ab 250.000 Dollar Jahreseinkommen, die Republikaner wollen allenfalls Millionäre höher belasten. Am Sonntag hieß es, ein Grenzwert von 400.000 Dollar sei der wahrscheinlichste Kompromiss.

Typisch für den Umgang, den Reid und McConnell miteinander pflegen, waren die Verhandlungen am Samstag: Ständig hasteten Mitarbeiter der beiden Senatoren mit neuen Papieren hin und her über den marmornen Korridor, die beiden Büros liegen nur gut 50 Meter voneinander entfernt. Nur, ihre Chefs trafen sich kein einziges Mal: Mitch McConnell, der 70-jährige Senator aus Kentucky, saß zwar sieben Stunden hinter seinem Schreibtisch, aber Harry Reid blieb daheim in seiner Washingtoner Wohnung. Erst am Sonntagmorgen mochte sich Reid, der drei Jahre ältere Kollege aus Nevada, zum persönlichen Gefeilsche mit McConnell aufraffen.

Zöglinge einer verseuchten Atmosphäre

Ideologisch trennen beide Welten. Reid, dieser fast unscheinbare Biedermann, hat eine schillernde Vita hinter sich. Er stammt aus Searchlight, einem Kaff in der Wüste südlich von Las Vegas. Der Jurist arbeitete sich hoch, verdingte sich als Amateurboxer, legte sich als Chef einer Spiel-Casino-Kommission sogar einst mit der Mafia an.

Reid fühlt links, und er gilt als Mentor von Barack Obama: Im Juli 2006 war er einer der ersten Demokraten, der den jungen Senator aus Chicago zur Präsidentschaftskandidatur ermunterte.

Mitch McConnell hat sich in Washington den Ruf erarbeitet, der ärgste Obama-Opponent zu sein. Vor gut zwei Jahren verkündete er, es sei seine wichtigste Mission, "Obama zu einem Präsidenten mit nur einer Amtszeit zu machen". Das misslang, aber dieser Sohn aus bürgerlichem Haus und tiefgläubige Baptist sieht Amerika nach wie vor in die falsche Richtung driften: "Wenn Obama uns auf halber Strecke treffen will, ist es nicht angebracht, wenn wir uns auf Geschäfte mit ihm einlassen."

Reid wie McConnell sind Zöglinge einer durch und durch parteipolitisch verseuchten Atmosphäre im Kongress. Die meisten Abgeordneten in Washington müssen daheim mehr einen (noch radikaleren) Herausforderer aus dem eigenen Lager in der Vorwahl fürchten als die Niederlage gegen einen Rivalen aus der anderen Partei.

Und so führen die Parteispitzen eben: Ihre oberste Aufgabe ist es, die eigene Truppe beisammen zu halten. Das Gemeinwesen, der Staat, kommt später. Reid, der Mehrheitsführer, regiert mit harter Hand und erlaubt der republikanischen Minderheit im Senat nur selten Änderungsanträge zu von Demokraten entworfenen Gesetzesvorlagen.

McConnell wehrt sich dagegen mit Blockaden: Seit 2007 hat er 389 Mal per Filibuster - eine Dauerdebatte, die Abstimmungen verhindert - einen Beschluss verhindert. Im Dezember brachte er sogar das Kunststück fertig, einen ursprünglich von ihm selbst entworfenen Beschluss zu blockieren. Angeblich der erste Selbst-Filibuster in über 200 Jahren Senatsgeschichte.

Reid wie McConnell sind weniger Strategen als Meister der Geschäftsordnung. Sie eint das Gespür für den kleinsten gemeinsamen Nenner. Aber dieses Talent allein, so sah es am Sonntag gegen Sonnenuntergang aus, genügt nicht mehr, um als Doppel Washington eine letzte, schmale Ausfahrt vor der Klippe zu eröffnen.

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