Süddeutsche Zeitung

Afghanistan:Friedensgespräche mit Taliban: Afghanen suchen Weg aus dem blutigen Patt

  • In Afghanistan sterben bei Konflikten zwischen den Taliban und Regierungstruppen mehr Menschen als je zuvor. Keine Seite kann die andere besiegen.
  • In Kabul kommen diese Woche afghanische, US-amerikanische, chinesische und pakistanische Regierungsvertreter zusammen, um einen Termin für Friedensgespräche mit den Taliban zu vereinbaren.
  • Obwohl es Anzeichen gibt, dass die Taliban grundsätzlich zum Frieden bereit sind, gibt es viele Unwägbarkeiten, darunter die Zersplitterung der radikalen Islamisten sowie die Rolle Pakistans.

Von Tobias Matern

In der vergangenen Nacht waren die Ängste besonders quälend. Humayun Haqyar sagt, er habe zwei Schlaftabletten geschluckt, um zur Ruhe zu kommen. Zu groß war die Sorge. Um seine persönliche Situation, um die Zukunft in seinem Land. Der Lehrer aus der nordafghanischen Stadt Kundus spricht am Telefon über einen großen Traum: "Alle Afghanen brauchen dringend ein Leben in Frieden." Zu viele Menschen seien in den vergangenen Jahren gestorben, das Blutvergießen müsse endlich aufhören.

Humayun Haqyar heißt eigentlich anders, aber dieser Tage will kaum ein Afghane mit seinem richtigen Namen zitiert werden, wenn es um seine Haltung zu den Taliban geht. Zu überwältigend ist die Angst, dass die Islamisten sich an ihm rächen könnten, falls sie solche Äußerungen mitbekommen. "Ich unterstütze Friedensgespräche mit den Taliban. Falls sie nur unter gewissen Bedingungen an den Verhandlungstisch kommen, sollte sich die Regierung darauf einlassen", sagt er. Humayun Haqyar ist 28 Jahre alt. Die meiste Zeit seines Lebens in Afghanistan war von Instabilität geprägt. Der Ausnahmezustand ist für den jungen Afghanen die Normalität.

Die Perspektive im Land: trist

An diesem Dienstag, so sagt Haqyar, wird er gebannt auf das schauen, was in der Hauptstadt Kabul verhandelt wird. Da wollen sich Vertreter der afghanischen, amerikanischen, chinesischen und pakistanischen Regierung zusammensetzen, wie sie dies in den vergangenen Monaten häufig getan haben. Am Ende des Treffens soll ein Termin stehen, ein Fahrplan für Friedensgespräche mit den Taliban, wie das Außenministerium in Kabul bestätigt.

Das wäre ein großer Schritt. 15 Jahre nach dem Sturz der Islamisten, in denen es weder dem hochgerüsteten Westen noch den tapferen, aber überforderten afghanischen Streitkräften gelungen ist, die Taliban zu bezwingen. Das Land befindet sich in einer blutigen Patt-Situation. Die Taliban sind nicht so stark, dass sie Kabul überrennen und ihre Flagge über dem Präsidentenpalast hissen können. Aber sie sind in der Lage, die Streitkräfte empfindlich zu schwächen und die Menschen am Hindukusch in Schrecken zu versetzen. Seit dem Abzug der westlichen Kampftruppen Ende 2014 hat sich die Lage für die Zivilbevölkerung verschlechtert. Nach Angaben der Vereinten Nationen wurden im vergangenen Jahr 11 002 Afghanen verwundet oder getötet - die höchste Zahl seit Beginn der Aufzeichnung. Und die Wirtschaft, traditionell schon schwach, ist durch den Weggang der vielen Ausländer eingebrochen. Die Perspektive: trist.

Aber wollen die Taliban überhaupt reden? Was sind ihre Bedingungen für einen Frieden in Kabul? Ein afghanischer Journalist ruft im Auftrag der SZ bei Sabiullah Mudschahid an, einem der afghanischen Taliban-Sprecher. Das Ende der ausländischen Besatzung, also der Abzug aller Truppen aus Afghanistan, sei die zentrale Bedingung für den Auftakt von Friedensgesprächen, sagt dieser. Auch müssten die Taliban von den schwarzen Listen der Vereinten Nationen genommen werden, also ihre Reisefreiheit wiederhergestellt werden. Inhaftierte Mitstreiter sollten die Gefängnisse verlassen dürfen.

Solche Aussagen klingen konzilianter als in der Vergangenheit, als die Taliban routinemäßig die Regierung in Kabul als "Marionette der Amerikaner" verspottet haben. Mudschahid betont, dass die Taliban zivile Strukturen in Afghanistan erhalten wollen, genau wie die Meinungsfreiheit und auch die Frauenrechte - "im Kontext islamischer Prinzipien und nationaler Interessen", wie er betont. Auch sei es den Taliban wichtig, "gute Beziehungen zu allen Ländern inklusive der Nachbarstaaten" zu unterhalten.

Das klingt nach einer überaus passablen Verhandlungsgrundlage für die afghanische Regierung. Zudem haben die Taliban zuletzt wieder großes Interesse demonstriert, ihr politisches Büro in Doha zu eröffnen, einem Drittstaat also, in dem sie sich frei bewegen und Kontakte zu afghanischen Offiziellen knüpfen können. Ein informelles Treffen mit Dutzenden Vertretern aus Afghanistan, Nachbarstaaten und Abgesandten der Taliban hat es in Doha jüngst gegeben, auch das daraus formulierte Dokument liest sich wie eine gute Grundlage für Gespräche.

Vertreter der afghanischen Zivilgesellschaft sind skeptisch

Doch Diplomaten weisen auf eine Reihe von Schwierigkeiten hin, die den Prozess nach wie vor zum Erliegen bringen können: Die Taliban haben sich in den vergangenen Jahren, spätestens seit dem Tod des charismatischen Chefs Mullah Omar, weiter fragmentiert. Ob das Büro in Doha oder der hier zitierte Sprecher ein breites Spektrum der Islamisten vertreten, bleibt fraglich. Und Omars Nachfolger, Mullah Mansur, hat keine so große Hausmacht. Zudem hat sich der sogenannte Islamische Staat als ernstzunehmende Konkurrenz für die Taliban in Afghanistan etabliert.

Ein weiteres Problem: Kenner des afghanischen Machtgefüges und der regionalen Streitigkeiten hegen noch immer Zweifel an der pakistanischen Rolle. Dem militärischen Establishment in Islamabad wird vorgehalten, es steuere Teile der afghanischen Taliban, um sich seinen Einfluss auf das Nachbarland und die Nachkriegsordnung zu bewahren. Diese Unterstellung weist Pakistans Regierung empört zurück .

Auch Vertreter der afghanischen Zivilgesellschaft sind skeptisch. Zwar betont Sima Samar, die Chefin der Afghanischen Menschenrechtskommission in Kabul, dass die Afghanen sich einerseits so sehr nach Frieden sehnten, dass bereits die nun anstehenden "Gespräche über Friedensgespräche" Hoffnung erzeugten. Andererseits bleibe die Sorge bestehen, dass die Verhandlungen Frauen ausschließen werde und "die Perspektive der Opfer nicht gehört wird". Kriegsverbrechen müssten als solche benannt und aufgearbeitet werden. Samar glaubt, dass diese Aspekte aus den Gesprächen ausgeklammert werden, um einen Deal mit den Taliban nicht zu gefährden. Noch sei es viel zu früh, um sich Hoffnungen zu machen, betont die Menschenrechtlerin.

Das sieht Humayun Haqyar, der Lehrer aus Kundus, auch so. Er versucht, Ruhe zu bewahren. "Aber schon wenn ich Berichte über Friedensgespräche höre, werde ich sehr aufgeregt", sagt er.

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Quelle:
SZ vom 23.02.2016/ewid
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