Süddeutsche Zeitung

Verhandlung über EFSF-Sondergremium:Das Gebot der Not

Sollen nur neun Abgeordnete über Milliarden von Euro-Hilfen entscheiden? In Karlsruhe wird über die Frage verhandelt, ob derartige Entscheidungen von einem Kleinst-Gremium getroffen werden dürfen - das Bundesverfassungsgericht zeigt sich skeptisch.

Wolfgang Janisch

Es war viel von Eilbedürftigkeit die Rede an diesem Dienstag vor dem Bundesverfassungsgericht, was kaum verwunderlich ist, schließlich ging es um die Rettung des Euro, die letztlich eine Art Wettrennen gegen die Märkte ist. Der Zweite Senat muss entscheiden, ob für akute Interventionen aus deutscher Sicht ein diskretes und flinkes Gremium aus neun Abgeordneten genügend demokratische Verankerung bietet - oder ob doch jedes Mal der schwerfälligere Bundestag beteiligt werden muss, wenn der Rettungsschirm EFSF in aller Eile mit ein paar Milliarden Euro ein Land gegen die Angriffe der Märkte stabilisieren muss.

Geklagt hatten die SPD-Abgeordneten Peter Danckert und Swen Schulz. Sie sehen durch die weitreichende Entscheidungsbefugnis des Mini-Gremiums die Beteiligungsrechte des Parlaments verletzt - jene Rechte also, die Karlsruhe erst jüngst im Rettungsschirm-Urteil vom 7. September gestärkt hatte. Es könne zwar notwendig sein, Entscheidungen auf Ausschüsse zu delegieren, räumte Schulz ein, doch dies müsse die Ausnahme bleiben; beim "Neuner-Ausschuss" werde die Ausnahme aber zur Regel. Jedenfalls sagte auch Gerichtspräsident Andreas Voßkuhle Eile zu: Ein Urteil werde vielleicht nicht vor Weihnachten, aber bald danach verkündet.

Es könnte ein Urteil werden, dass den Willy-Brandt-Satz "Mehr Demokratie wagen" verfassungsrechtlich ausbuchstabiert. Ein Kleinst-Gremium, dem nur neun der 620 Bundestagsabgeordneten angehören, ist ziemlich wenig Demokratie für Entscheidungen, die am Ende den halben Bundeshaushalt kosten können - 211 Milliarden Euro beträgt der deutsche Anteil am EFSF. Da war jedenfalls aus den Fragen der Richter deutliche Skepsis zu hören.

Andererseits kann mehr Demokratie ein ganz konkretes Wagnis sein, darauf machte Finanzminister Wolfgang Schäuble aufmerksam: Weil zum Beispiel die Ankäufe von Staatsanleihen auf dem Sekundärmarkt durch den EFSF geheim vorbereitet werden müssen, wenn sie überhaupt Wirkung erzielen sollen. "Vertraulichkeit ist die Voraussetzung dafür, dass wir solche Instrumente überhaupt einsetzen können." Noch drastischer formulierte dies Peter Altmaier, Parlamentarischer Geschäftsführer der Unionsfraktion: "Wenn Sekundärmarktinterventionen zur Unzeit bekannt werden, dann verbrennen wir Steuergelder."

Das kritische Dutzend

Tatsächlich scheint die kritische Masse im Parlament, deren Überschreitung Diskretion unmöglich macht, bei etwa einem Dutzend zu liegen. Davon wusste der CDU-Abgeordnete Siegfried Kauder zu berichten: Im Parlamentarischen Kontrollgremium (elf Mitglieder) funktioniere das gut, in Untersuchungsausschüssen (etwa zu Kundus mit 34 Mitgliedern) dagegen sei die Geheimhaltung noch nie gewahrt worden.

Zwar zeigte auch das Gericht Verständnis für solche Zwänge. Es leuchte sehr ein, dass bei Interventionen des EFSF am Sekundärmarkt Geheimhaltung herrschen müsse, sagte Voßkuhle; vielleicht müsse in manchen Fällen die Regierung sogar ohne Parlament handeln. Dennoch klangen bei ihm wie bei einigen Richtern des an diesem Tag nur aus sieben Mitgliedern bestehenden Senats - die neu gewählte Sibylle Kessal-Wulf harrt noch der Ernennung - Zweifel an, ob die Diskretion des Mini-Gremiums auch, wie im Gesetz vorgesehen, für die Rekapitalisierung von Banken oder für vorsorgliche Kreditlinien erforderlich ist. Auch die Eilbedürftigkeit sah Udo Di Fabio, der federführende "Berichterstatter" des Verfahrens, nicht überall gleichermaßen dringlich, während Gertrude Lübbe-Wolff mit dem dehnbaren Wortlaut der Vorschriften haderte.

Und Voßkuhle hatte gleich zu Beginn daran erinnert, dass die Schuldenkrise nicht das Grundgesetz außer Kraft setze: "Die verfassungsrechtlichen Spielregeln, unter deren Geltung die Politik den Wettstreit um die besten Ideen ausficht, müssen gerade auch in schwierigen Zeiten eingehalten werden." Die Formel "Not kennt kein Gebot" habe den Menschen, historisch gesehen, nur kurzfristig Glück gebracht. Wenn überhaupt.

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SZ vom 30.11.2011/fran
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