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Verhältnis Kirche und Staat:Der ewige Ablass

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Wegen Enteignungen vor 217 Jahren erhalten die Kirchen Millionen vom Staat. Ist damit nun bald Schluss? Grüne, FDP und die Linke jedenfalls hätten dazu ein paar Ideen.

Von Matthias Drobinski, Frankfurt

Johann-Albrecht Haupt ist, zumindest in dieser Angelegenheit, ein penibler Mensch. Jedes Jahr durchforstet der Rechtsanwalt für den Bürgerrechtsverein "Humanistische Union" die Haushaltspläne und -entwürfe der Bundesländer, um herauszufinden, welche Staatsleistungen diese an die evangelische und katholische Kirche einplanen. Als er dies vor zwölf Jahren anfing, waren es noch 400 Millionen Euro. In den Ansätzen für 2020 kommt er mittlerweile auf insgesamt 569,5 Millionen Euro: 332,4 Millionen für die evangelischen Landeskirchen, 237,1 Millionen für die katholischen Bistümer; Bayern zahlt mehr als 130 Millionen, das Saarland keine 700 000, Hamburg und Bremen nichts. So bunt kann Föderalismus sein. "Eine schöne Summe für die Kirchen jedenfalls," sagt Rechtsanwalt Haupt.

Das Geld fließt seit mehr als hundert Jahren in dieser Weise, überwiegend als Ausgleich für die Enteignung von Kirchengütern nach dem Reichsdeputationshauptschluss von 1803. Seit mehr als hundert Jahren steht jedoch auch in der Weimarer Reichsverfassung wie im Grundgesetz, dass diese Staatsleistungen abzulösen seien. Nur wie, das steht da nicht, und passiert ist seit 1919 auch nichts. Der wichtigste Grund dafür findet sich auch in Albert Haupts penibler Rechnung: Selbst im Rekordjahr 2020 werden pro Bundesbürger und Jahr im Schnitt keine sieben Euro anfallen. Zu klein ist der Posten im Haushalt, als dass bisher die Landesregierungen große Lust gehabt hätten, Ärger mit den Kirchen zu riskieren, denen das Geld rechtlich zusteht. Für die Humanistische Union, die für die strikte Trennung von Staat und Kirche eintritt, ist das ein unhaltbarer Zustand. Sie fordert leit Langem das sofortige und entschädigungslose Ende der Zahlungen. "Die Kirchen haben inzwischen viel mehr gezahlt bekommen, als ihnen damals genommen wurde", sagt Haupt.

Nun kann es passieren, dass tatsächlich bald Johann-Albrecht Haupts Rechenarbeit überflüssig wird - wenn auch nicht ganz so, wie er es wünscht. An diesem Freitag wollen vor der Bundespressekonferenz in Berlin FDP, Linke und Grüne einen gemeinsamen Entwurf für ein Grundsätzegesetz vorstellen, in dessen Rahmen die Bundesländer innerhalb von fünf Jahren Gesetze zur Ablösung der Staatsleistungen beschließen sollen. Allerdings soll dies nicht ohne eine Entschädigung gehen, wie es die Humanistische Union fordert und was viele Juristen für verfassungswidrig halten, sondern mit einer abschließenden Einmalzahlung. In dem Entwurf, der der Süd deutschen Zeitung vorliegt, heißt es: "Bei der Berechnung dieses Wertes ist das 18,6-Fache der jährlich zu leistenden Zahlungen im Jahr 2020 zugrunde zu legen. Bisher geleistete Zahlungen werden bei der Ablösung nicht berücksichtigt." Für Haupt ein Grund zum Ärger: "Der Faktor 18,6 ist willkürlich - und bedeutet, dass der Staat noch einmal 10,6 Milliarden Euro zahlt."

Allerdings hat der Gesetzentwurf, den maßgeblich Stefan Ruppert formuliert hat, der religionspolitische Sprecher der FDP, einen entscheidenden Vorteil: Er könnte tatsächlich zum Gesetz werden. Denn offenbar findet der Entwurf der drei Oppositionsparteien zumindest grundsätzlich auch in der SPD und den Unionsparteien Zustimmung - selbst wenn es, was auch einmal in der Debatte gewesen sein soll, nun keinen gemeinsamen Antrag aller fünf Fraktionen gibt.

Vor allem aber hat bei den Kirchen ein Umdenken eingesetzt. Auch dort sieht man die Leistungen, die keine fünf Prozent der Einnahmen ausmachen, mittlerweile kritisch. Kirchenvertreter geraten regelmäßig in Not, wenn sie erklären sollen, warum zum Beispiel die Gehälter der Bischöfe und Domkapitel über die Staatsleistungen finanziert werden. So tritt zum Beispiel Irmgard Schwätzer, Präses der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), für eine Ablösung ein, allerdings, so betont sie, nicht zum Nulltarif. Und auf der Homepage der katholischen Bischofskonferenz heißt es, man werde sich einer Lösung "nicht verschließen, wenn und soweit diese ausgewogen ist".

Aktuelle Stellungnahmen wollten am Donnerstag weder die EKD noch die Bischofskonferenz abgeben - man warte die Vorstellung des Entwurfs ab. Vieles spricht dafür, dass die Kommentare durchaus positiv sein werden.

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Quelle:
SZ vom 13.03.2020
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