Süddeutsche Zeitung

Verhältnis Deutschland-Russland:Entspannung viel zu leicht gemacht

Egon Bahrs Witwe hat Putin-Versteher zu einem Appell versammelt, die Botschaft lautet: Seid endlich freundlicher zu Moskau! Kritikwürdiges wird dabei ausgeblendet.

Rezension von Renate Nimtz-Köster

Flatternde Fahnen, Spruchbänder und das schwungvolle FDJ-Lied: Solcherlei Assoziationen stellen sich ein angesichts des Sammelbandes "Warum wir Frieden und Freundschaft mit Russland brauchen", den Adelheid Bahr, die Witwe von Egon Bahr, soeben herausgegeben hat.

Die Titelzeile, mit der russischen Trikolore unterlegt, hat Russlandexpertin und Putin-Verteidigerin Gabriele Krone-Schmalz mit ihrem Beitrag vorgegeben.

An der Dialogbereitschaft Merkels kann es nicht gelegen haben

Zum "Aufruf an alle", wie auf dem Cover verkündet, haben sich mit der Journalistin mehr oder weniger Bekannte aus Politik und Wirtschaft, unter ihnen der ehemalige SPD-Außenminister Sigmar Gabriel und der stellvertretende FDP-Vorsitzende Wolfgang Kubicki, sowie zwei Musikschaffende zusammengetan. Wieder dabei ist auch Antje Vollmer, schon 2014 Initiatorin eines Appells für "eine andere Russlandpolitik", mit mehr "Ausgleich und Dialog".

An der Dialogbereitschaft zumindest von Kanzlerin Angela Merkel kann es nicht gelegen haben: Allein seit dem Sommer 2013 haben Merkel und Putin mindestens 54 Mal miteinander telefoniert. Persönlich getroffen haben sie sich in dieser Zeit 15 Mal, davon einmal mitsamt Putins Hund - ein Machtspielchen mit der hundescheuen Kanzlerin. Die Gespräche in Minsk gehörten mit 17 Stunden zu den längsten Verhandlungen, die Merkel je geführt hat.

"Eine neue Entspannungspolitik ist das Gebot der Stunde!!!", so schallt es nun auch im Vorwort von Erziehungswissenschaftlerin Bahr, in memoriam ihres 2015 gestorbenen Mannes. "Wandel durch Annäherung" war die Devise des Architekten einer neuen Ostpolitik unter Willy Brandt.

In den zwei Reden von 2015, die den Beiträgen des Sammelbandes voranstehen, plädiert Egon Bahr für "Verantwortungspartnerschaft", spricht auch von "Vorleistungen". Allerdings sei die russische Annexion der Krim "eine Verletzung internationaler Verträge, die nicht anerkannt werden kann". Er gehe aber davon aus, "dass Minsk II bis Ende des Jahres eine verlässliche Stabilität erreicht".

Da irrte Bahr, der das Jahresende nicht mehr erlebte - und auch nicht unfehlbar war: Nannte er doch die Forderung nach einer deutschen Wiedervereinigung "politische Umweltverschmutzung", schalt es noch fünf Tage nach dem Mauerfall eine "Lebenslüge, von Wiedervereinigung zu reden".

Wer sich mit diesem Buch auf Bahrs Spuren begibt, den befällt eher "ratloses Erschrecken": So überschreibt Publizist Friedrich Dieckmann seinen Beitrag zum "Stand der deutsch-russischen Beziehungen", in dem Wladimir Putin als "Glücksfall für Deutschland" vorkommt.

Musiker Justus Frantz nennt die Krim-Annexion eine "Wiedergutmachung historischen Unrechts"

Bei Autor Mathias Bröckers geht es ums "aktuelle Russland-Bashing und die hysterische Putin-Phobie", für den einstigen CSU-Politiker Peter Gauweiler gibt es "ein einheitliches ukrainisches Staatsvolk nur in der Fantasie des amtlichen Brüssels".

Wolfgang Bittner, Schriftsteller, fragt: "Was um Himmels willen treibt Deutschland gegen Russland?" Und Musikus Justus Frantz erklärt die Krim-Annexion vor vier Jahren zur "Wiedergutmachung historischen Unrechts".

So gerät das neue Lamento über schwierige Verhältnisse wiederum zu einem "peinlichen Dokument", wie Russland- und Osteuropaexperte Karl Schlögel den Aufruf von 2014 genannt hatte. Nach wie vor herrscht der von Schlögel beklagte "intellektuelle Notstand" in Sachen Ukraine, es fehlt an Expertise zum postsowjetischem Raum.

Dass Präsident Putin, im Zusammenspiel mit der orthodoxen Kirche, eine "zutiefst reaktionäre Politik betreibt", wie Historiker Heinrich August Winkler sagt, wird nicht zur Kenntnis genommen. Putinkritik wird ganz einfach mit Russenfeindschaft gleichgesetzt.

Renate Nimtz-Köster hat Romanistik und Slawistik studiert. Sie ist freie Wissenschaftsjournalistin.

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SZ vom 08.10.2018/odg
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