Vergifteter Ex-Spion Litwinenko:"Die Bastarde haben mich gekriegt"

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Der frühere Geheimagent hatte über den Mord an Anna Polikowskaja recherchiert - und wurde nach eigenen Angaben vergiftet. Nun ist Litwinenko an Herzversagen gestorben. Auf dem Totenbett hat er noch eine Erklärung diktiert - die heute Mittag verlesen wird.

Nach Angaben der Londoner Universitätsklinik starb Litwinenko an Herzversagen. Zum Zeitpunkt seines Todes stand er unter dem Einfluss starker Beruhigungsmittel. Die Londoner Polizei teilte mit, es werde wegen unbekannter Todesursache ermittelt. Die Ärzte konnten bis zuletzt nicht klären, womit und wie Litwinenko möglicherweise vergiftet wurde.

Der 43-Jährige erklärte, er sei am 1. November vergiftet worden, als er zum Mord an der Kremlkritikerin und Journalistin Anna Politkowskaja recherchierte. Die am 7. Oktober in Moskau erschossene Journalistin hatte sich mit kritischen Reportagen über den Tschetschenien-Krieg einen Namen gemacht.

Litwinenkos Haar fiel aus, seine Kehle schwoll an und sein Immun- und Nervensystem wurde schwer geschädigt. Nur wenige Stunden bevor er am Donnerstag das Bewusstsein verlor erklärte Litwinenko in einem Interview mit der Zeitung The Times, er sei vom Kreml zum Schweigen gebracht worden. "Ich will überleben, nur um es ihnen zu zeigen", erklärte Litvinenko. "Die Bastarde haben mich gekriegt, aber sie werden nicht jeden kriegen."

In Helsinki, wo der russische Präsident Wladimir Putin am EU-Russland-Gipfel teilnehmen wird, sagte ein Mitglied der russischen Delegation, Litwinenkos Tod sei "natürlich eine menschliche Tragödie". "Aber die Beschuldigungen gegen den Kreml sind so unglaublich, so unsinnig, so albern, dass der Präsident sie nicht kommentieren kann."

Erkärung auf Totenbett diktiert

Ein Vertrauter Litwinenkos hat eine Erklärung angekündigt, die Litwinenko auf dem Totenbett diktiert habe. Die Erklärung werde um 12 Uhr mitteleuropäischer Zeit vor der Londoner Universitätsklinik von einem Familienangehörigen verlesen, sagte Alex Goldfarb.

Die Erklärung seit derzeit in den Händen seines Anwalts, den Inhalt kenne er nicht, sagte Goldfarb der Nachrichtenagentur AP. "Wir sind sehr bestürzt und entsetzt über diesen schrecklichen Tod", sagte Goldfarb.

Ein anderer Freund Litwinenkos, der Regisseur Andrei Nekrasov, sagte, seine Frau Marina, sein Vater Walter und sein zehnjähriger Sohn Anatoli seien in den letzten Stunden bei ihm gewesen.

"Ich kann es nicht anders sagen: Sie haben wieder einen von uns erschlagen. Es war ein unglaublich professioneller und zugleich sadistischer Mord", sagte Nekrasov. "Sie haben ihn aus Hass ermordet, aus Rachsucht. Es gibt einen Machtkampf in Moskau und er wurde ein Opfer davon."

Litwinenko war ein ausgesprochener Kremlkritiker. Er wurde vermutlich am 1. November vergiftet, indem eine Substanz in sein Essen oder Trinken gemischt wurde. Litwinenko hatte sich an dem Tag mit dem Italiener Mario Scaramella in einem Sushi-Restaurant in London getroffen.

Scaramella warnte Litwinenko nach eigenen Angaben vor Morddrohungen, die er per E-Mail erhalten hatte. Scaramella vermutet, dass Litwinenko wegen dessen Beratertätigkeit für eine italienische Regierungskommission zur Untersuchung von Aktivitäten des russischen Geheimdienstes in Italien zum Anschlagziel wurde. Scaramella war ebenfalls als Berater für diese Kommission tätig.

Litwinenkos Freunde haben die russische Regierung beschuldigt, einen Giftanschlag veranlasst zu haben. Der russische Auslandsgeheimdienst hat den Vorwurf scharf zurückgewiesen.

"Litwinenko ist nicht die Art Person, für die wir bilaterale Beziehungen aufs Spiel setzen würden", zitierte die Nachrichtenagentur Interfax einen Geheimdienstsprecher.

Unklarheit über Vergiftungsursache

Die Ärzte haben nach eigenen Angaben keine Erklärung, warum sich der Gesundheitszustand Litwinenkos so dramatisch verschlechterte. Der Chefarzt der Intensivstation am Londoner Universitätsklinikum, Geoff Bellingan, erklärte, die Mediziner seien überzeugt, dass Litwinenko nicht mit einem Schwermetall wie Thallium vergiftet wurde.

Auch eine radioaktive Substanz sei allem Anschein nach nicht die Ursache seines Leidens. Der Chefarzt wies ferner Spekulationen zurück, dass Fremdkörper im Darm des Patienten für dessen schlechten Zustand verantwortlich sein könnten.

Die BBC hatte unter Berufung auf Krankenhauskreise berichtet, aus Röntgenaufnahmen gehe hervor, dass Litwinenko drei Gegenstände dichter Struktur verschluckt habe.

Bellingan erklärte dagegen, die vermeintlichen Fremdkörper auf den Röntgenbildern seien in Wahrheit Flecke, die von der Behandlung des Patienten mit Preußisch-Blau herrührten. Diese Farbstoffsubstanz wird in der Medizin häufig als Mittel zur Bindung von Giften wie Thallium und Cäsium eingesetzt.

Seit 2000 in London

Litwinenko trat zu Sowjetzeiten dem Geheimdienst KGB bei und stieg bei dessen Nachfolgeorganisation, dem russischen Inlandsgeheimdienst FSB, zum Oberst auf. Im November 2000 floh er aus Russland und bat in Großbritannien um Asyl.

Zwei Jahre zuvor hatte er seine Vorgesetzten beim FSB öffentlich beschuldigt, ihm die Tötung des russischen Oligarchen Boris Beresowski befohlen zu haben, der damals zum Machtzirkel des Kremls gehörte. Außerdem beschuldigte Litwinenko FSB-Beamte, 1999 Bombenanschläge auf Wohnhäuser in Russland koordiniert zu haben. Diese kosteten rund 300 Menschen das Leben und lösten den zweiten Tschetschenien-Krieg aus.

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