Vergewaltigungsvorwürfe gegen Julian Assange:Das Recht auf ein spätes Nein

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Der Fall Julian Assange: In Schweden beschuldigen zwei Frauen den Wikileaks-Chef der Vergewaltigung - dort ist der Begriff anders definiert als hierzulande.

Thomas Steinfeld

Wenn Julian Assange, der Sprecher von Wikileaks, aus britischer Haft an Schweden ausgeliefert werden sollte, so hat es mit der dort angeblich begangenen Untat eine besondere Bewandtnis: Denn in einem Staat, in dem sich konservative Politiker damit brüsten, sie seien Feministen, unterliegen sexuelle Verbrechen besonderen Maßstäben.

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Weit mehr als fünftausend Vergewaltigungen wurden in Schweden im vergangenen Jahr angezeigt. In der Bundesrepublik sind es nur zweitausend mehr, obwohl es fast zehn mal mehr Deutsche gibt als Schweden. Oder anders gerechnet: In Schweden kommen auf hunderttausend Menschen 53 Vergewaltigungen im Jahr, während es in Großbritannien, in der Statistik der Sexualverbrechen unter den europäischen Staaten auf dem zweiten Platz, nicht einmal die Hälfte sind.

Eine Studie der Europäischen Union aus dem Jahr 2009 glaubt die Gründe für diese eklatante Differenz zu erkennen: frühe Sexualdebüts, hoher Alkoholkonsum, ein relativ freies Verhältnis zur Geschlechtlichkeit und das "Recht auf ein spätes Nein". Die Schweden selbst sehen das anders: Das Land sei im Hinblick auf Sexualverbrechen allenfalls Durchschnitt, meint der staatliche "Rat für die Vorbeugung gegen Verbrechen". Ein viel schärferes Bewusstsein für die Rechte der Frau (und des Mannes) sei der wichtigste Grund dafür, dass relativ viele Sexualverbrechen angezeigt würden.

Manches spricht dafür, dass die schwedischen Experten recht haben, vor allem die Statistik: So hat sich die Zahl der angezeigten Vergewaltigungen pro Jahr in Schweden seit 1975 fast verachtfacht. Die größte Steigerung weisen die Jahre von 2005 (3787) bis 2009 (5446) auf: Im Jahr 2005 wurden die Sexualverbrechen nämlich juristisch neu gefasst. Seitdem gibt es drei Kategorien für Vergewaltigungen (schwer, mittel, minder schwer), wobei vor allem der Begriff "Zwang" neu definiert wurde: Als Zwang gilt nun, wenn der Täter sich den hilflosen Zustand seines Opfers zunutze macht, und sei es, dass dieses schliefe.

Außerdem wird der Begriff der "Drohung" so weit gefasst, dass das Opfer sich nicht wehren muss, damit aus einer Belästigung eine Vergewaltigung wird - es reicht aus, wenn eine Drohung empfunden wird. Die Neufassung dieser Paragraphen hat zur Folge, dass die "sexuelle Nötigung" in Schweden nun als Vergewaltigung gilt. Dass mit der Ausweitung der Begriffe hingegen eine Grauzone geschaffen wurde, in der juristische Definitionen nicht helfen, zeigt die Verurteilungsrate: Bestraft werden seit 2005 etwa 500 Delinquenten pro Jahr, und das ist nur das Doppelte der Zahlen von 1975.

© SZ vom 09.12.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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