Vergewaltigung:Trotz "Nein" schutzlos ausgeliefert

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Das neue Gesetz von Justizminister Maas schützt Frauen nicht gut genug, beklagen viele Kritiker. Foto: Imago, Collage: SZ

  • Bei der Debatte im Bundestag zur Reform des Sexualstrafrechts stimmen die Redner überein: "Nein heißt nein".
  • Justizminister Maas hat aber seine Probleme mit diesem Prinzip: Er fürchtet Schwierigkeiten bei der Beweisführung.
  • Vielen Abgeordneten fehlt auch ein "Grapschparagraf".

Von Constanze von Bullion, Berlin

Es kommt nicht oft vor im Deutschen Bundestag, dass Redner aller Fraktionen sich so gut wie einig sind. Noch dazu, wenn es um ein so kontroverses Thema wie Sexualstrafrecht geht. Vor wenigen Jahren noch wäre eine solche Debatte mutmaßlich von Gelächter und Zwischenrufen unterbrochen worden, vorzugsweise von einigen Herren in der Unionsfraktion.

Als an diesem Donnerstag im Bundestag in erster Lesung die geplante Reform des Sexualstrafrechts beraten wurde, hielten sich die Herren zurück, vor allem die mit den wichtigen Posten. Es sprach kein Unionsfraktionschef Volker Kauder, auch kein SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann. Man überließ das Rednerpult vor allem weiblichen Abgeordneten, die ausnahmslos die geplante Reform des Sexualstrafrechts kritisierten.

Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) will mit dem geplanten Gesetz dafür sorgen, dass Vergewaltigungen gezielter verfolgt und mehr Täter verurteilt werden können. Seine Pläne seien halbherzig, hielten ihm sämtliche Redner im Plenum vor, und immer wieder fiel der Satz: Nein heißt Nein.

Bevor die Kritiker aber im Sternmarsch auf den Justizminister vorrücken konnten, verteidigte Heiko Maas die geplante Verschärfung des Sexualstrafrechts. Bisher galt es als Voraussetzung einer Vergewaltigung, dass der Täter Gewalt anwendet oder das Opfer um sein Leben fürchten muss. Künftig soll die Schwelle tiefer liegen. Als Vergewaltigung kann dann auch gelten, wenn der Täter eine allgemeine Drohung ausspricht, eine Überraschung ausnutzt oder die Widerstandsunfähigkeit des Opfers. Das Gesetz ist vom Kabinett beschlossen worden, muss nun aber noch das parlamentarische Verfahren durchlaufen und dürfte dabei verändert werden.

Ein Grapschparagraf fehlt noch - der Minister denkt an Nachbesserung

Nur in acht Prozent der angezeigten Fälle sexueller Gewalt werde in Deutschland ein Täter verurteilt, sagte Justizminister Maas. Und das, obwohl nur jede zehnte Vergewaltigung überhaupt angezeigt werde. "Der Grund besteht darin, dass unser Strafrecht eklatante Schutzlücken aufweist", so der Minister.

Bisher müssten Opfer von Vergewaltigung, in der Mehrzahl Frauen, vor Gericht nachweisen, dass sie sich körperlich gewehrt haben. Dies gehe an der Wirklichkeit oft vorbei. Zu einer Vergewaltigung könne es gehören, dass der Täter den Willen des Opfers "nicht erst im Moment der Tat" breche, sondern "lange vorher". Manche Opfer hätten aus Angst jeden Widerstand aufgegeben, weil sie den Arbeitsplatz nicht verlieren oder eine Abschiebung verhindern wollten. Hier greife das Strafrecht nicht. Auch wenn einer Frau "unter dem Rock in den Schritt gegriffen" werde, sei das bisher nur als Beleidigung zu werten, nicht als Verletzung der sexuellen Selbstbestimmung.

Der sogenannte Grapschparagraf, auf den Maas hier anspielt, ist weder Teil des Strafgesetzbuchs noch in der geplanten Reform vorgesehen. Kritiker, die von Frauenverbänden bis zu Bayerns Justizminister Winfried Bausback (CSU) reichen, fordern, auch Übergriffe wie in der Kölner Silvesternacht zu ahnden. Denn für unerwünschtes Berühren auch bekleideter Personen gibt es bisher keine Strafnorm.

Zu Unrecht, sagte die CDU-Abgeordnete Elisabeth Winkelmeier-Becker am Donnerstag im Bundestag. Jeder wisse, wie belastend ein Wohnungseinbruch sei, vor allem wegen des Eindringens in die Privatsphäre. Wie viel belastender sei ein Eindringen in die körperliche Intimsphäre, fragte die Abgeordnete: "Das führt bei den Opfern zu Depressionen, zu Ängsten bis hin zu Selbstmordabsichten." Hiervor müssten Frauen durch das Strafrecht geschützt werden. Dies entspreche auch der Istanbuler Konvention des Europarats, die Deutschland 2011 gezeichnet habe, aber erst ratifizieren könne, wenn das Strafrecht entsprechend geändert sei.

Täter bekannt

Bundesweit werden pro Jahr etwa 8000 Vergewaltigungen angezeigt. Die Dunkelziffer ist sehr hoch: Experten schätzen, dass nur jedes zehnte Opfer zur Polizei geht. Und nur etwa jeder zehnte Verdächtige wird auch verurteilt. Die juristische Bewertung ist je nach Land unterschiedlich. In Deutschland, aber auch in weiteren Ländern, verletzt eine Vergewaltigung das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung. Eine EU-Studie aus dem Jahr 2014, für die der 42 000 Frauen befragt worden sind, kommt zu dem Ergebnis: Jede dritte Frau in Europa hat als Erwachsene körperliche oder sexuelle Gewalt erfahren. 77 Prozent der von sexueller Gewalt betroffenen Frauen sagten, der Täter sei ihnen bekannt gewesen. SZ

"Wir wollen jede Form der sexuellen Gewalt unter Strafe stellen", sagte auch die SPD-Rechtspolitikerin Eva Högl, "wir brauchen einen Paradigmenwechsel."

Justizminister Maas findet "Nein heißt Nein" schwierig

Justizminister Maas machte am Donnerstag deutlich, dass er einen zusätzlichen "Grapschparagrafen" für denkbar hält. Er sei "gern bereit", über weitere Regelungen zu sprechen. Bedeckt hielt er sich dagegen beim Stichwort "Nein heißt Nein". Hier soll eine Expertenkommission eine Lösung vorschlagen. Das Gesetz aber will Maas "zügig" verabschieden, also vorher.

Strittig bleibt also die Forderung, dass schon ein erkennbares Nein des Opfers genügen soll, um sexuelle Gewalt bestrafen zu können. Hier bremst Maas, er befürchtet Beweisschwierigkeiten. "Dieses Argument ist vorgeschoben", hielt die Linke-Abgeordnete Halina Wawzyniak ihm vor. Auch eine Drohung sei schwer beweisbar, in Maas' Reform aber als Vergewaltigungsmerkmal vorgesehen.

Die Grünen-Abgeordnete Ulle Schwauws kritisierte, dass Frauen nach wie vor belegen müssen, sich gegen eine Vergewaltigung gewehrt zu haben. "Sexuelle Selbstbestimmung gilt nicht als schützenswert, anders als das Eigentum." Als einer der wenigen Männer in der Debatte forderte CSU-Politiker Alexander Hoffmann, sexuelle Übergriffe, die aus einer Gruppe heraus begangen werden, unter Strafe zu stellen: "Das muss auch im Gesetz abgebildet werden."

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