Vergangenheitsbewältigung in der Justiz:Scham und Schuld

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Stilles Gedenken: In der Seemitte liegt immer eine frische Blume auf einer dreieckigen Stele, die an den Winkel auf der KZ-Kleidung erinnert. (Foto: Britta Pedersen/dpa)

Der Bundesgerichtshof stellt sich seiner frühen rassistischen Rechtsprechung gegen Sinti und Roma - und zieht eine Parallele zur heutigen Debatte über Flüchtlinge.

Von WOLFGANG JANISCH, Karlsruhe

Die Vergangenheit hatte den Bundesgerichtshof (BGH) ziemlich unvermutet eingeholt. Vor anderthalb Jahren, bei einer Veranstaltung in den Räumen des BGH, erinnerte Romani Rose, Vorsitzender des Zentralrats der Sinti und Roma, die hohen Richter an ein unseliges, offen rassistisches BGH-Urteil von 1956. Der BGH hatte seinerzeit Entschädigungen wegen "Zwangsumsiedlungen" vom Mai 1940 verweigert, weil "Zigeuner" damals nicht etwa aus rassistischen, sondern sozusagen aus kriminalpolitischen Gründen umgesiedelt worden seien - weil sie, so fand der BGH, zu Diebstahl und Betrügereien neigten. BGH-Präsidentin Bettina Limperg reagierte auf Roses Bitte nach einer ausdrücklichen Distanzierung mit einem Gegenbesuch beim Zentralrat und mit einer ausdrücklichen Entschuldigung.

An diesem Mittwoch folgte nun der nächste Akt der Vergangenheitsaufarbeitung. Mit einem gemeinsamen Symposium in Karlsruhe erinnerten BGH und Zentralrat an jenes düstere Kapitel aus der BGH-Historie. Eine Rechtsprechung, die unter der Geltung des Grundgesetzes ergangen sei und doch von dessen Grundvoraussetzung - der Achtung der Menschenwürde - in so eklatantem Maße abweiche, erscheine heute undenkbar, sagte Limperg. "Aber sie hat stattgefunden, sie ist unerträglich und sie beschämt uns zutiefst." Gerade die Justiz müsse Garant für die Achtung grundrechtlicher Verbürgungen sein. "Die aktuelle Flüchtlingsdebatte macht uns bewusst, wie rasch wir auch dieser Tage mit weit verbreiteten Pauschalierungen von angeblichen und vielfach an bloßen Äußerlichkeiten festgemachten Wesensmerkmalen betroffener Gruppen konfrontiert sind." Stephanie Hubig, Staatssekretärin im Bundesjustizministerium, nannte die Veranstaltung eine "symbolische Bitte der deutschen Justiz um eine Entschuldigung für eine Rechtsprechung, die Menschen wegen ihrer Abstammung pauschal diskriminiert hat". Für Sinti und Roma habe die Ausgrenzung eine "traurige Kontinuität". "Die diskriminierende sogenannte Zigeuner-Rechtsprechung des BGH ist Geschichte, aber die Diskriminierung von Minderheiten in unserer Gesellschaft ist es leider nicht", sagte Hubig.

"Sie neigen, wie die Erfahrung zeigt, zur Kriminalität", urteilten die Richter im Jahr 1956

Das zentrale Zitat aus dem braun gefärbten Urteil illustriert, wie unverhohlen der Ungeist der Nationalsozialisten mitunter in der Rechtsprechung der frühen Bundesrepublik seinen Niederschlag fand. Der BGH versagte den damaligen Klägern eine Entschädigung, weil man erst nach dem sogenannten Auschwitz-Erlass des SS-Reichsführers Heinrich Himmler vom Dezember 1942 von einer rassistisch motivierten Deportation von Sinti und Roma sprechen könne. Himmler hatte damals die "Einweisung von Zigeunermischlingen, Rom-Zigeunern und balkanischen Zigeunern" ins Konzentrationslager Auschwitz verfügt. Für die meisten deutschen Sinti und Roma bedeutete das die Ermordung durch die Nationalsozialisten. Die Umsiedlungen in Lager in Polen im Mai 1940, auf die sich die Kläger gestützt hatten, habe dagegen dem Schutz der Bürger vor den "Zigeunern" gedient, judizierte der BGH im ungebrochenen Nazijargon: "Sie neigen, wie die Erfahrung zeigt, zur Kriminalität, besonders zu Diebstählen und Betrügereien, es fehlen ihnen vielfach die sittlichen Antriebe der Achtung vor fremdem Eigentum, weil ihnen wie primitiven Urmenschen ein ungehemmter Okkupationstrieb eigen ist."

Nicht nur die Sprache verriet die Wurzel des dahinterstehenden Gedankenguts. Das Urteil enthielt sogar eine Fußnote, die gleichsam der direkte Link in die nationalsozialistische Rassenideologie war: Der BGH belegte seine "Urmenschen"-Einschätzung mit dem Hinweis auf ein "Handbuch der Kriminalistik" in einer Auflage aus dem Jahr 1942 - ein ganz offenkundig vom Gedankengut der Nazis geprägtes Werk, wie BGH-Richter Andreas Mosbacher in einem Fachaufsatz schreibt.

Das Urteil von 1956 hatte Folgen. Die unteren Instanzen folgten dem BGH überwiegend, einige Oberlandesgerichte widersetzten sich freilich. Erst 1963 rückte der BGH offiziell davon ab und akzeptierte, dass die Umsiedlung von Sinti und Roma rassenpolitische Gründe hatte. Von den rassistischen Ausfällen des eigenen Gerichts distanzierten sich die Richter seinerzeit jedoch nicht; das Nazi-Urteil wurde diskret untergepflügt.

© SZ vom 18.02.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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