Verfolgung:Die Rache des Diktators

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Tour in eroberte Gebiete: Syriens Diktator Assad zeigte sich 2018 in Ost-Ghouta, das jahrlang in Rebellenhand war. (Foto: AFP/ HO/Syrian Presidence Facebook Page)

Nach Eroberungen lässt das Regime Gegner häufig verschwinden - oder töten.

Von Moritz Baumstieger

Der hochgewachsene Mann wird sich wohl bald wieder selbst hinters Steuer setzen. Oder lässig und ohne Krawatte durch das Bild flanieren, das ein zufällig anwesendes Kamerateam einfängt. Baschar al-Assad ließ in seinen bald 20 Jahren an der Macht schon immer gerne filmen, wie er sich scheinbar ohne Leibwächter im Land bewegt. Seit Syrien im Krieg versunken ist, führen diese Touren teils dorthin, wo gerade noch gekämpft wurde. 2016 zeigte ein Video, wie Assad im eben geräumten Darayya betete, 2018 cruiste er lässig ins eroberte Ost-Ghouta. Seine nächste Propagandatour dürfte ihn nach Idlib führen.

Doch nicht nur, was die Propaganda angeht, mit der das Regime seine Sieger feiert, lassen sich in diesem Krieg Muster erkennen. Auch bei der Frage, wie Assad nach der Eroberung Idlibs mit Zivilisten, Oppositionsaktivisten und Militanten umgehen wird, lassen sich aufgrund der Erfahrungen von Ost-Aleppo, Ost-Ghouta oder Daraa Prognosen wagen - auch wenn Idlib in gewisser Weise ein Sonderfall ist.

Rebellenmilizen hat Damaskus in die syrische Armee integriert

Wann immer ein Gebiet kurz vor der Kapitulation stand, warnten Assad-Gegner vor Massenverhaftungen und -hinrichtungen. Tatsächlich kam es vereinzelt zu Erschießungen, groß angelegte Vergeltungsaktionen blieben aber meist aus. Zum einen, weil das Regime Aktivisten und Militanten den Abzug gestattete, um die Herrschaft erst einmal zu konsolidieren. In den grünen Bussen der staatlichen Transportbetriebe wurden Tausende weggebracht - eben nach Idlib, das so zum Sonderfall wurde. Die Provinz ist die letzte unter der Kontrolle von Aufständischen, weitere Evakuierungen sind nicht möglich. Auch deshalb warnen Aktivisten wieder vor Massakern.

Wie Assad mit seinen ärgsten militärischen und politischen Widersachern umgehen wird, falls sie keine Zuflucht in der Türkei finden, ist also ungewiss. Zum Vergessen aber neigt er jedenfalls nicht. In den Gebieten um Daraa im Süden etwa kündigte das Regime einen Versöhnungsprozess und Amnestien an. Rebellenmilizen wurden in die syrische Armee integriert und an die nächste Front geschickt, wo sie nun gegen ihre bisherigen Waffenbrüder kämpfen mussten. Und obwohl Razzien und Massenverhaftungen zunächst tatsächlich ausblieben, füllten sich die von Assads Geheimdiensten neu errichteten Gefängnisse nach einigen Wochen. Immer mehr Menschen, die im weitesten Sinne mit der Opposition in Verbindung standen, wurden an Checkpoints festgenommen. Clanchefs und Stammesführer, die sich von Damaskus losgesagt hatten, wurden von Unbekannten erschossen. Nicht wenige verschwanden einfach. Die Rache des Regimes kam nicht sofort, aber sie kam.

Gegenden wie Ost-Ghouta und Ost-Aleppo, die durch die Kriegshandlungen entvölkert wurden, sind bis heute weitgehend verwaist, ehemaligen Bewohnern wird oft die Rückkehr verweigert. Damaskus weist darauf hin, dass die Gebiete noch nicht sicher seien, seine Gegner vermuten, dass Assad einen Bevölkerungsaustausch plane oder das Land für Bauprojekte von regimenahen Geschäftsleuten vorgesehen ist. Wiederaufbau fand hingegen kaum statt und dürfte noch schwieriger werden. Ende 2019 hat der US-Kongress neue Sanktionen beschlossen, Assads Ausflüge werden also bis auf Weiteres in Ruinenlandschaften führen.

© SZ vom 04.02.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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