Verfassungssschutz zu linksextremer Gewalt:Das Problem der nackten Zahl

Der Anstieg linksextremer Gewalttaten wirkt dramatisch - was die Ursachen der Entwicklungen sind, das wissen weder Verfassungsschutz noch Innenminister Thomas de Mazière. Klar ist nur: Die Linksextremen sind das neue Feindbild.

Von Antonie Rietzschel

1110 linksextreme Gewalttaten.

So nackt dahin geschrieben frappiert die Zahl, die das Bundesamt für Verfassungsschutz in seinem Bericht für 2013 präsentiert. Es ist ein Anstieg um 26 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Der Schock wird ungleich größer wenn man die Zahl der rechtsextremen Gewalttaten gegenüber stellt. Zwar gibt es ebenfalls einen alarmierenden Anstieg, doch mit 619 Fällen ist die Anzahl gerade mal halb so hoch.

Was der Grund für den Anstieg der linksextremen Gewalttaten ist, beantworten die Verfassungsschützer nicht. In diesem Zusammenhang wirkt seltsam, dass die Zahl Gewaltbereiter in der linken Szene zurückgegangen sein soll.

Zunächst stellt sich die Frage, wie gezählt wird. In der Vergangenheit hat es berechtigte Kritik daran gegeben, wie Bundesbehörden politisch motivierte Taten erfassen. Anfang Mai vermeldete das Innenministerium, das die Zahl linksextremer Straftaten um 40 Prozent angestiegen sei. Die Täter aus diesem Spektrum würden immer brutaler, warnte damals Innenminister Thomas de Maizière (CDU).

Recherchen des Spiegel machten jedoch deutlich, dass hinter dem Anstieg im Wesentlichen Sachbeschädigungen sowie "Verstöße gegen das Versammlungsgesetz" steckten. Darunter fallen Störungen von Demonstrationen verschiedenster Art: Auch Sitzblockaden gegen Neonazi-Aufmärsche gehörten dazu. Ob Letzteres eine Straftat darstellt, ist juristisch Auslegungssache.

Krawalle um Rote Flora im Mittelpunkt

Im aktuellen Verfassungsschutzbericht für 2013 werden immerhin einzelne Beispiele aufgeführt, die erahnen lassen, was die Verfassungsschützer unter linksextremen Gewalttaten verstehen: Es geht von Brandstiftung über Landfriedensbruch hin zu Körperverletzung. Eine wirkliche Übersicht über die einzelnen Fälle gibt es nicht, was die Einschätzung schwierig macht.

Es seien Großlagen wie die Demonstrationen um die Rote Flora in Hamburg, die aus gewaltbereiten Linksextremen Tätern machten, heißt es aus dem Bundesamt für Verfassungsschutz auf Nachfrage. In dem aktuellen Bericht spielen die Krawalle rund um das besetzte Theater im Dezember 2013 eine große Rolle. Sie haben möglicherweise großen Einfluss auf die Statistik.

Projekte gegen Linksextremismus auf der Kippe

Die Verfassungsschützer beschreiben, wie Demonstranten Latten und Steine auf Polizisten warfen. Damals wurden ungefähr 160 Beamte und mehrere hundert Demonstranten verletzt. Die Gewalt gegenüber den Polizisten nehme zu, sagte Innenminister de Mazière während der Pressekonferenz, bei der der Verfassungsschutzbericht vorgestellt wurde.

Doch das Problem der nackten Zahl bleibt an diesem Tag ungelöst. Der Minister selbst kann die Frage nicht beantworten, warum es drastisch mehr linksextreme Gewalttaten geben soll. Gemeinsam mit den Innenministern der Bundesländer will er auf Spurensuche gehen. Ein Lagebericht soll her, der Aufschluss darüber geben soll, woher die Gewaltbereitschaft kommt.

Für de Mazière sind die Linksextremen eine klare Bedrohung. Damit folgt er der Tradition der vergangenen Bundesregierung, die Präventionsprogramme gegen Linksextremismus auflegte und sogar ein Aussteigerprogramm. All das steht nun auf der Kippe.

Denn Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig von der SPD hat eine andere Agenda als der CDU-Innenminister. Sie will Initiativen stärken, die sich gegen Rechtsextremismus engagieren. Mehrere Millionen zusätzlich will sie dafür in die Hand nehmen - ein Teil soll aus den Fördertöpfen für Projekte gegen Linksextremismus kommen.

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