Verfassungsschutz:Reichsbürger sind zu paranoid, um organisiert anzutreten

SEK-Einsatz gegen Reichsbürger

Eine Flagge mit dem Wappen der Reichsbürgergruppierung vom ´Bundesstaat Bayern".

(Foto: picture alliance / Matthias Balk)

Aus den hunderten Kleinstgruppen der Reichsbürger wird sich keine größere Armee bilden lassen. Die Gefahr von bewaffneten Einzeltätern ist damit aber nicht gebannt.

Kommentar von Jan Stremmel

Es klingt dramatisch, was Verfassungsschützer im Focus berichten: Reichsbürger aus mehreren Bundesländern planten eine bewaffnete "Armee", um sich "auf den Tag X" vorzubereiten. Entsteht in Deutschland gerade unbemerkt eine regierungsfeindliche Miliz, wie man sie aus den USA kennt?

Die Szene der sogenannten Reichsbürger ist unübersichtlich - sie besteht aus hunderten verschiedenen "Königreichen" oder "Freistaaten", die meist am Gartenzaun enden. Die Argumentationen und Konstrukte, mit denen diese Fantasiestaaten begründet werden, speisen sich aus Mythen, die Neonazis seit Kriegsende verbreitet haben. Und aus Fragmenten antisemitischer Fantasien von einer angeblichen Weltverschwörung. Gemeinsam ist den Reichsbürgern die Überzeugung, dass die Bundesrepublik juristisch nicht existiere. Das Deutsche Reich besteht in dieser Vorstellung fort - wahlweise in der Antarktis - und man könne sich das Steuernzahlen sparen, wenn man nur hundertseitige "Belehrungen" an Landratsämter faxt oder mit einem Fantasiedokument den Status als "freier Mensch" bekräftigt.

Zahl der Reichsbürger steigt

Die Zahl der Reichsbürger ist laut Verfassungsschutz allein im vergangenen Jahr von 10 000 auf mehr als 15 000 angestiegen. Dass die Bewegung derzeit so massiv wächst, ist kein Zufall. Es ist Folge der gleichen Mechanik, die auch zum Aufstieg der AfD oder Donald Trumps geführt hat: Die teils herben Folgen der Globalisierung für Arbeiterschichten in westlichen Ländern lassen den Wunsch nach Abschottung und einem Sündenbock wachsen - und verleihen Verschwörungstheorien neuen Auftrieb. Dazu kommen neue technologische Möglichkeiten: Wer nach einfachen Erklärungen für den angeblichen Niedergang des Abendlands sucht, findet im Internet endlos viele. Und tausende Gleichgesinnte, denen es ähnlich geht.

Wer mit Reichsbürgern spricht, hört Dinge wie im Umfeld der Pegida-Demonstrationen: Islamisierung der Gesellschaft, gesteuerte Flüchtlingsströme, deutsche Politiker als "Hochverräter". Am rechten Rand der Gesellschaft hat sich eine hermetisch abgeriegelte Gegen-Kommunikationswelt etabliert, die immun ist für faktenbasierte Argumente. Dort kursieren völlig unhinterfragt Behauptungen und Lügen, die teils vor Jahrzehnten von beinharten Neonazis gestreut wurden. Man könnte die Reichsbürger deshalb als die ersten wirklichen Opfer von Fake News bezeichnen: eine Armee von komplett Fehlinformierten, gefangen in grotesken Wutbürger-Diskursen, die für Außenstehende kaum noch nachzuvollziehen sind. Kein Wunder, dass die meisten von ihnen eher älter und damit weniger kompetent sind, Falschnachrichten im Internet als solche zu erkennen.

Bislang waren alle gewalttätigen Reichsbürger geistig verwirrte Einzeltäter. Was den Plan einer großen gemeinsamen "Armee" betrifft, kann man wohl abwinken: Aus den hunderten, oft konkurrierenden Kleinstgruppen wird sich nur schwer eine größere Einheit bilden lassen. Zu wichtigtuerisch, zu paranoid sind die Protagonisten. Dass sich Einzelgruppen bewaffnen, steht allerdings schon länger zu befürchten: Vor zwei Jahren stand ein Reichsbürger vor Gericht, weil er sich über den Kauf von Sturmgewehren für eine "Bürgerwehr" informiert hatte. Laut Verfassungsschützern besitzen schon heute etwa 1000 Mitglieder der Szene legale Waffen. Diese gilt es, so bald wie möglich zu beschlagnahmen - mit aller Vorsicht: der Reichsbürger Wolfgang P. erschoss im bayerischen Georgensgmünd einen Polizisten, als seine Waffensammlung eingezogen werden sollte. Jenseits der Vorsicht hilft nur Prophylaxe: Medienkompetenz und politische Bildung.

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