Süddeutsche Zeitung

Urteil zum Verfassungsschutz:Karlsruhe reguliert Datenfluss an Polizei

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Nicht alle Erkenntnisse von Verfassungsschützern gehen die Polizei etwas an, sagt das Bundesverfassungsgericht. Bislang geben die Ermittler noch zu viele Informationen weiter.

Von Wolfgang Janisch, Karlsruhe

Für das Bundesverfassungsgericht ist der Verfassungsschutz eine Art Langzeitprojekt - vor allem wegen dessen Querverbindungen zu Polizei und Staatsanwaltschaft. Immer wieder gilt es, den Informationsfluss zwischen den beiden Sphären rechtsstaatlich so zu kanalisieren, dass nicht ein gigantischer Sicherheitsapparat entsteht. So war es beim Urteil zur Antiterrordatei im Jahr 2013, so war es auch im Frühjahr beim Urteil zum bayerischen Verfassungsschutzgesetz.

Nun hat das Karlsruher Gericht erneut einen Beschluss veröffentlicht, und siehe da: Die Befugnisse der Verfassungsschutzbehörden zur Übermittlung von Informationen an die Ermittlungsbehörden sind teilweise verfassungswidrig.

Geklagt hatte einer, der in besonderem Maße im Visier der Verfassungsschützer gestanden haben dürfte: Carsten Schultze, 2018 im NSU-Prozess verurteilt zu drei Jahren Haft wegen Beihilfe zum Mord. Schultze hatte sich als einziger der Angeklagten ernsthaft mit der Tat auseinandergesetzt und landete dank seiner Aussage in einem Zeugenschutzprogramm, weshalb er heute anders heißen dürfte.

Verfassungsschutz und Polizei haben mit gutem Grund unterschiedliche Befugnisse

Die Übermittlung von Informationen ist rechtsstaatlich kompliziert, weil hier Sicherheitsbehörden mit gänzlich verschiedenen Aufgaben kooperieren. Der Verfassungsschutz hat weit gefasste Befugnisse etwa für heimliche Observationen oder den Einsatz von V-Leuten, weil er ganz allgemein verfassungsfeindliche Bestrebungen aufklären soll. Das ist auch deshalb so, weil er keine operativen Befugnisse hat, die in Grundrechte eingreifen; er kann keine Haftbefehle beantragen.

Das Handlungsfeld der Polizei ist dagegen die Abwehr konkreter Gefahren, und ihr Arsenal kann den Betroffenen durchaus wehtun. Informationen in den Händen der Polizei können konkrete Folgen für die Betroffenen haben, daher sind die Anforderungen an deren Beschaffung höher.

Weil ein allzu freihändiger Datentausch diese Hürden unterlaufen würde, hat das Bundesverfassungsgericht schon 2013 ein "informationelles Trennungsprinzip" formuliert. Danach ist eine Weitergabe nur dann möglich, wenn die Polizei die Daten auch selbst erheben dürfte.

Die Voraussetzungen sind im nun veröffentlichten Beschluss noch einmal ausbuchstabiert. Danach muss es um ein "besonders wichtiges Rechtsgut" gehen. Also um Leben, Gesundheit, "Freiheit der Person", Sicherheit des Staates oder um wesentliche Infrastruktureinrichtungen. Und zweitens muss eine "hinreichend konkretisierte Gefahr" bestehen, dass eines dieser Rechtsgüter Schaden nimmt. Das ist auf der polizeilichen Gefahrenskala ziemlich weit oben.

Schon geringfügige Delikte können zur Weitergabe von Daten führen

Das klingt abstrakt und wirkt ziemlich undurchschaubar, weil die Voraussetzungen der Datenübermittlung in einem schwer zu durchdringenden Paragrafendickicht verborgen sind. Wer aber das Gestrüpp durchdringt, stellt am Ende fest, dass schon vergleichsweise geringfügige Delikte den Datentransfer in Gang setzen.

Danach soll bereits der Verstoß gegen ein Vereinsverbot genügen, Höchststrafe ein Jahr. Oder Paragraf 89b Strafgesetzbuch, das ist eine dieser Vorschriften, die Handlungen weit im Vorfeld möglicher Terroranschläge unter Strafe stellen. Dort geht es um die "Aufnahme von Beziehungen" zu einer Terrorgruppe - Höchststrafe drei Jahre. Aus Karlsruher Sicht sind das jedenfalls keine "besonders schweren Straftaten", daher seien die Vorschriften unverhältnismäßig.

Überhaupt scheint dieses ominöse "Vorfeld" möglicher Straftaten dem Gericht rechtsstaatliche Sorgen zu bereiten. Bei einer Neuregelung der Befugnisse müsse der Gesetzgeber darauf achten, "eine Übermittlung nicht zu weit im Vorfeld einer in ihren Konturen noch nicht absehbaren Gefahr" zu erlauben. Diffuse Anhaltspunkte seien nicht ausreichend. Immerhin gewährt das Gericht dem Gesetzgeber eine Frist: Die Korrektur muss Ende nächsten Jahres stehen, bis dahin gilt die alte Regelung weiter.

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