Verfassungsschutz in der Kritik:Viele Kontrolleure, wenig Kontrolle

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Fragwürdige Qualifikation, schlechte Ausstattung, Filz, Abschottung - Deutschlands reformbedürftiger Verfassungsschutz krankt - und scheint sich seiner Aufgaben nicht immer bewusst zu sein. Doch kann man ihn einfach abschaffen?

Christoph Gusy

"Erst die Diagnose - dann die Therapie!" Dies ist die Devise der meisten Mitglieder des NSU-Untersuchungsausschusses im Bund und wohl auch in den Ländern. Wohlfeile Schnellschüsse gab und gibt es schon genug. Inzwischen liegt mit dem Schäfer-Bericht aus Thüringen eine erste substanzvolle Faktensammlung vor, die erste Einschätzungen ermöglicht.

Ein Sicherheitsbeamter steht vor dem Bundesamt für Verfassungsschutz in Köln (Archiv). (Foto: dpa)

Dass es eigene Verfassungsschutzämter in Deutschland überhaupt gibt, basiert auf einer Grundentscheidung. Danach soll sich die Polizei ausschließlich mit der Aufklärung begangener und bevorstehender Rechtsbrüche befassen. Rechtmäßige Handlungen liegen außerhalb ihres Ermittlungsauftrages. Wenn also bestimmte legale Handlungen beobachtet und registriert werden sollen, bedarf es dazu anderer Stellen. Dies sind die Verfassungsschutzämter. Und weil sie gerade dazu bestimmt sind, die Polizei aus diesem Aufgabenfeld herauszuhalten, müssen die Ämter von polizeilichen Dienststellen getrennt sein.

Man kann die Abschaffung der Verfassungsschutzämter diskutieren. Dann stellt sich aber die Frage, was aus deren bisherigen Aufträgen wird. Dazu zählen neben der Beobachtung von rechts- und linksradikalen Kämpfern gegen die freiheitliche Demokratie auch die Spionageabwehr und die Aufklärung terroristischer Tendenzen in - nicht nur islamischen - Religionsgemeinschaften. Ob man die radikalen Gruppierungen unbedingt beobachten muss, kann man diskutieren. Die Spionageaufklärung würde wohl dem Bereich der Polizei zufallen. Aber wollen wir wirklich, dass die Polizei in Moscheen und anderen Gotteshäusern verdeckt ermittelt? Es gibt gute Gründe, das nicht zu wollen. Eine Abschaffung ist also nicht unzweifelhaft. Das heißt aber nicht, dass alles unzweifelhaft wäre, was bei den Nachrichtendiensten geschieht. Durchgreifende Reformen sind überfällig.

In den vergangenen 20 Jahren haben sich die Aufgaben der Dienste stark vermehrt. Allzu oft galt: Wenn irgendwo eine neue Gefahr abzuwehren war, sollte dafür auch der Verfassungsschutz zuständig sein. Korruption, organisierte Kriminalität, nationaler und internationaler Terrorismus wurden so nicht allein der Polizei, sondern auch den Diensten übertragen. Und zwar ohne Rücksicht darauf, ob sie dafür jeweils besonders qualifiziert waren oder sind. Wenn aber mehrere Behörden nebeneinander für eine Aufgabe zuständig sind, bedeutet dies nicht stets, dass die Aufgabe besser oder effektiver wahrgenommen wird. Die Zahl der gleichzeitig zuständigen Behörden ist ohne direkten Einfluss auf die Qualität der Ermittlungen.

Eher das Gegenteil ist der Fall. Wenn der Verfassungsschutz erhalten bleiben soll, dann für solche Aufgaben, die er besser wahrnehmen kann als andere Stellen: als sicherheitspolitisches Frühwarnsystem oder bei der strategischen Aufklärung allgemeiner Risikolagen. Einen Verfassungsschutz aber, der die Zeitungen daraufhin durchstöbert, was dort etwa über Bodo Ramelow steht (dies ließ das Bundesverwaltungsgericht jüngst zu) und sich um den Rechtsterrorismus nicht kümmert, brauchen wir nicht - nicht in Sachsen, Thüringen oder anderswo.

Auch die föderalistische Struktur des Verfassungsschutzes muss hinterfragt werden. Der Inlandsgeheimdienst ist ohnehin viel stärker zentralisiert als die Polizei: Kleine Bundesländer haben kleine Ämter, die irgendwann die verschiedenen Aufgaben nicht mehr hinreichend erfüllen können, weil den Ländern das Geld für ihre Ausstattung fehlt oder weil Beobachter und Beobachtete beispielsweise über V-Leute derart miteinander verfilzt sind, dass die nötige Distanz nicht mehr gewahrt bleibt. Die Ämter brauchen eine gewisse Mindestgröße - etwa durch Zusammenlegung.

Diskussionsbedürftig ist auch das professionelle Niveau der Mitarbeiter. Während der Bund die Schule für Verfassungsschutz unterhält, fehlen entsprechende Einrichtungen auf der Länderebene jedenfalls zum Teil und zwar selbst im bevölkerungsreichsten Bundesland Nordrhein-Westfalen. Karrieren bei der Polizei oder in anderen Behörden qualifizieren allein nicht zu nachrichtendienstlicher Tätigkeit.

Wo so zahlreiche Behörden in Bund und Ländern voneinander getrennt sind, entstehen Schnittstellen und Kooperationsnotwendigkeiten. Sie haben sich als Schwachpunkte gezeigt. Sicherheitsbehörden arbeiten offenbar weniger zusammen, als es notwendig wäre. Zu unterschiedlich sind die jeweiligen professionellen und kulturellen Standards. Wer auf Abschottung Wert legt, nach dem Motto "Meine Daten gehören mir!", wird schon in der eigenen Behörde ungern zusammenarbeiten. Dann erfahren selbst Vorgesetzte und andere Abteilungen im Hause möglichst wenig, außenstehende Behörden und Kontrollgremien noch weniger. Der Einzelne kann aber die Behördenzwecke gar nicht allein erfüllen.

Notwendig ist eine Kultur der Zusammenarbeit, wo nicht jeder alles weiß, aber jeder das für ihn Notwendige erfahren kann. Und wo nötig, bedarf es ausreichender gesetzlicher Regelungen, etwa wechselseitiger Informationspflichten bei großen Gefahren oder hohen Schäden, aber auch bei Interessendivergenzen zwischen den Behörden. Nicht selten kann die Polizei nötige Informationen nicht erhalten, weil der Verfassungsschutz seine Quelle zurückhält und für sich behalten will. Der kolportierte Verweigerungsgrund "Hier geht es doch nur um ein Tötungsdelikt" spricht für - oder genauer gesagt - gegen sich. Vor diesem Hintergrund stellen sich die viel diskutierten V-Leute, von denen nur ein Bruchteil der Informationen der Dienste stammt, fast als Randphänomen dar.

Zu den genannten Mängeln treten Kontrolldefizite hinzu. Wenn niemand etwas erfährt, dann erfahren Aufsichtsbehörden, Gerichte und parlamentarische Gremien schon gar nichts. Dann hilft es auch nichts, wenn Präsidenten (wie Heinz Fromm) zurücktreten, weil sie selbst nicht informiert oder gar hinter das Licht geführt wurden. Nun ist ein transparenter Geheimdienst bekanntlich ein Widerspruch in sich. Aber allzu lange galt im Bund der Satz: Viele Kontrolleure, aber wenig Kontrolle! In den Ländern fehlen sogar jene vielfach noch. Die Kontrolle der Telefonüberwachung obliegt ehrenamtlichen Laiengremien, die administrativ fast überall völlig unterausgestattet sind. Und das Instrument des Geheimdienstbeauftragten (wie Gerhard Schäfer jetzt in Thüringen) muss flächendeckend eingeführt und effektiviert werden.

Erst die Diagnose - dann die Therapie! Die Aufklärung von Straftaten ist zentral eine Aufgabe der Polizei und nicht des Verfassungsschutzes. Defizite und Versagen muss es also auch dort gegeben haben, und auch darüber wird zu reden sein. Die momentane Fokussierung auf den Verfassungsschutz ist also nur ein Schritt auf einem längeren Weg.

© SZ vom 12.07.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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