Verfassungsschutz:Der Makel des Verdachts

Die AfD hat einen Anspruch darauf, in überschaubarer Zeit zu erfahren, ob sie beobachtet wird. Binnen zwei Jahren soll dies entschieden sein. Manchmal aber dauert es auch länger.

Von Jens Schneider und Ronen Steinke, Berlin

Das Bundesamt für Verfassungsschutz hat zur AfD erst einmal nur vorläufige Entscheidungen getroffen. Die AfD ist jetzt ein Rechtsextremismus-"Prüffall", ihre Nachwuchsorganisation Junge Alternative (JA) und der rechte "Flügel" sind "Verdachtsfälle". Man müsse erst noch sorgfältig prüfen, ob auch eine Beobachtung möglich sei, erklärte Verfassungsschutzpräsident Thomas Haldenwang am Dienstag. Doch so ein Damoklesschwert darf nicht ewig schweben, irgendwann muss eine Entscheidung her. Und das bedeutet: Die AfD darf nun in einem überschaubaren Zeitraum eine Antwort erwarten.

Dann bekommt sie entweder die befürchtete Beobachtung. Oder einen "Freispruch", den sie sicher als Ehrenerklärung darstellen würde. Ein Prüfzeitraum von höchstens zwei Jahren erscheine als angemessen, sagte Haldenwang am Mittwoch in einer nicht öffentlichen Sitzung des Innenausschusses des Bundestages, so berichteten es Teilnehmer.

Die Verfassungsschützer nehmen sich auch mal mehr Zeit zu prüfen: bei der Identitären Bewegung

Ein bis zwei Jahre, das ist rechtlich sogar bereits die Höchstdauer für einen Prüffall, meinen viele Juristen. Die Faustregel stammt aus verschiedenen Urteilen des Bundesverwaltungsgerichts vor allem zur Beobachtung der Republikaner in den 1990er-Jahren. Hintergrund ist das Verhältnismäßigkeitsprinzip. Obwohl bei einem Prüffall keine sogenannten nachrichtendienstlichen Mittel gegen die AfD eingesetzt werden dürfen, ist es doch bereits stigmatisierend. Betroffene brauchen nicht ewig mit dem Makel des Verdachts zu leben, sie haben ein Recht auf eine zügige Entscheidung. Die Vorgaben der Gerichte seien zwar vage, sagt der Rechtsprofessor Jan-Hendrik Dietrich, der an der Hochschule des Bundes für Verwaltung lehrt. In einigen Landesgesetzen ist die Höchstdauer des Prüffalls aber sogar geregelt, so in Berlin und Niedersachsen: ein Jahr, ohne Option der Verlängerung. "Daran muss sich auch der Bund orientieren", sagt Dietrichs Kollege Nikolaos Gazeas, der an der Universität Köln das Recht der Nachrichtendienste lehrt.

Gewichtiger als ein Prüffall ist ein Verdachtsfall. Auch bei den "Verdachtsfällen" JA und "Flügel" müsse sich das Bundesamt für Verfassungsschutz beeilen, sagt der Jurist Gazeas. Dort werden sogar bereits nachrichtendienstliche Mittel eingesetzt. Also "darf man das erst recht nicht in die Länge ziehen". Dauert es zu lang, könnten JA und "Flügel" klagen.

Die AfD hat sich seit Monaten darauf vorbereitet, juristisch auf die Entscheidung des Verfassungsschutzes zu reagieren. Konkret sei bislang nichts entschieden, sagte Fraktions-Vize Roland Hartwig am Mittwoch. Der Leiter der parteiinternen "Arbeitsgruppe Verfassungsschutz" kündigte an, dass die AfD sich "genau anschauen" werde, auf welchen tatsächlichen Anhaltspunkten die "Verdachtsfälle" gegen die JA und den "Flügel" beruhen. Zum "Flügel" bekennen sich einige der wichtigsten AfD-Politiker in Ostdeutschland, so die Spitzenkandidaten für die Landtagswahlen in Thüringen und Brandenburg, Björn Höcke und Andreas Kalbitz.

Für seine Prüfungen hat sich das Bundesamt für Verfassungsschutz in der Vergangenheit aber auch schon mal länger Zeit gelassen. So wird die Identitäre Bewegung seit August 2016 als Rechtsextremismus-Verdachtsfall geführt. Die Zweijahresfrist ist um. Eine Entscheidung gab es bislang nicht.

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