Verfassungsschutz-Chef vor NSU-Untersuchungsausschuss:"Sind wir ein wenig borniert?"

Der scheidende Verfassungsschutz-Chef Fromm räumt schwere Fehler ein. Doch warum seine Behörde Akten zum NSU-Trio gelöscht hat, darüber kann er nur Vermutungen anstellen, im Untersuchungsausschuss trägt ihm das Spott ein.

Tanjev Schultz, Berlin

Heinz Fromm ist ein nachdenklicher Mensch, man hat in seinem Gesicht auch früher schon lesen können, dass ihn Sorgen um die Sicherheit des Landes nicht kalt lassen. Vor dem Untersuchungsausschuss des Bundestags schaut er nun noch verdrossener aus. Der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz muss zum Versagen seiner Behörde bei den NSU-Morden Rede und Antwort stehen. Er sitzt da in dunklem Anzug, mit gefalteten Händen und spricht von einer "schweren Last".

The head of Germany's domestic intelligence service Fromm arrives to testify before parliamentary enquiry committee in Berlin

Heinz Fromm auf dem Weg zum NSU-Untersuchungsausschuss, wo er sich am Donnerstag den Fragen der Abgeordneten stellte.

(Foto: Reuters)

Diese Last werde durch die begonnene Aufklärung auch nicht mehr weichen, weder für die Behörde noch für ihn persönlich. Die Taten des "Nationalsozialistischen Untergrunds" (NSU), dem angelastet wird, neun Migranten und eine Polizistin getötet zu haben, seien in der Geschichte des Landes "ohne Beispiel", sagt Fromm. Die Ideologie von Nazis sei eigentlich so, dass man "alles für möglich" hätte halten müssen. Die Frage sei, ob der Inlandsgeheimdienst die Bedrohung richtig verstanden habe: "Sind wir ein wenig borniert?" Etwas später schwächt er das wieder ab; das Wort "borniert" sei vielleicht übertrieben.

Nun ist es allerdings so, dass die Abgeordneten mittlerweile auch beim Verfassungsschutz vieles, wenn nicht alles für möglich halten. Am Mittwoch hatten sie sich durch einen Blick in die V-Leute-Datei davon überzeugen können, dass hinter den acht Spitzeln der "Operation Rennsteig", die das Bundesamt einst in Thüringen betrieb, niemand aus dem Terrortrio steckte. Eva Högl (SPD) fragte am Donnerstag sicherheitshalber noch mal nach: Ob Mitglieder des Trios jemals V-Leute des Verfassungsschutzes waren? Heinz Fromm: "Nach allem, was ich weiß, kann ich das ausschließen."

Spekulationen über Beate Zschäpe lösen sich rasch wieder auf

Kurz darauf geht ein Raunen durch den Saal, denn der FDP-Abgeordnete Hartfrid Wolff legt nach: Ob denn auch auszuschließen sei, dass der Geheimdienst zumindest versucht hat, ein Mitglied des Trios anzuwerben? Fromm schließt das ebenfalls aus. Daraufhin hält Wolff ihm eine Geheimakte des Bundesamtes vor, in der auf mehreren Seiten angeblich ein Anwerbeversuch geschildert wird, in dem es um eine Frau mit einer Katze und mit enger Bindung an die Großmutter gehe.

Fromm wirkt überrascht. Beate Zschäpe, die gemeinsam mit Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos 1998 untergetaucht war und zur Zwickauer Zelle gerechnet wird, hat sich selbst einmal als "Omakind" bezeichnet. Sie war eine große Katzenliebhaberin.

Für kurze Zeit unterbricht der Ausschuss die Sitzung, Fromm kann sich die Akte ansehen. Anschließend sagt er, die Sache müsse weiter geklärt werden. Es gebe aber einen Hinweis, der dagegen spreche, dass es sich in der beschriebenen Person um Zschäpe gehandelt habe. Im Saal ist man nun gespannt. Am Abend kommt schließlich die Auflösung: Der Ausschussvorsitzende Sebastian Edathy (SPD) tritt im Namen der Abgeordneten vor die Presse und sagt, die Spekulation über Zschäpe "entbehrt jeder Grundlage". Die Parlamentarier hätten in den Akten eindeutig nachvollziehen können, dass es darin keinen Bezug zu Zschäpe gebe. Die FDP steht etwas blamiert da.

Zur Aktenlöschung gibt es an diesem langen Ausschusstag dagegen keine endgültige, schlüssige Erklärung. Im Januar 2011 gab es eine größere Schredderaktion im Bundesamt. Dabei sollen Dokumente vernichtet worden sein, die älter als 15 Jahre alt waren und dienstlich nicht mehr gebraucht wurden. Zuvor hatte Fromm sich nach seiner Darstellung einmal im Kreis seiner Beamten verwundert darüber gezeigt, dass Akten für eine unbegrenzte Zeit aufbewahrt wurden.

"Alte Dinger - Bezüge zum NSU? Fehlanzeige! Also weg"

Dem Gesetz nach müssen personenbezogene Daten in der Regel nach fünf oder zehn Jahren gelöscht werden - es sei denn, wichtige Gründe sprechen dagegen. Edathy fragt süffisant, ob es im Verfassungsschutz einen Datenschutzbeauftragten gebe - und ob der den Job in der Freizeit erledige? "Er macht das Vollzeit", sagt Fromm. Seit September 2011 sind die Löschfristen in den Dienstvorschriften konkret geregelt.

Im November 2011, als gerade die Terrorzelle aufgeflogen war, hat ein Beamter eigenmächtig sieben wichtige Akten über V-Leute gelöscht. Fromm sagt, vielleicht habe sich der Beamte daran erinnert, dass alte Akten nach und nach vernichtet werden sollen. Es könnte so gewesen sein: "Alte Dinger - Bezüge zum NSU? Fehlanzeige! Also weg", sagte Fromm.

Die Abgeordneten wollen auch noch erfahren, warum Fromm Ende Juli vorzeitig in den Ruhestand geht. "Wollen Sie nicht gerade jetzt mitarbeiten an der Aufklärung?", fragt Hartfrid Wolff. Das sei seine Absicht gewesen, sagt Fromm: "Ich habe mir auch selbst immer wieder gesagt: Du kannst jetzt nicht weglaufen!" Doch dann sei das Bundesamt "derart in die Schlagzeilen gekommen - das müssten Sie als Politiker eigentlich gut verstehen, dass das ein Versuch ist, dem Amt Luft zu verschaffen." Er wolle einen Neuanfang ermöglichen. Die Abgeordneten blicken verständnisvoll.

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