Verfassungsreform:Was tausend Tage Renzi in Italien gezeigt haben

Verfassungsreform: Matteo Renzi hat durch seinen Rücktritt die Konsequenzen gezogen.

Matteo Renzi hat durch seinen Rücktritt die Konsequenzen gezogen.

(Foto: AFP)

Die Wucht des Neins zur Verfassungsreform des Ministerpräsidenten ist gewaltig. Italien wird jetzt wohl weiter wursteln - oder sich unter Hetzern in den Abgrund stürzen. Doch es gibt Positives.

Kommentar von Stefan Ulrich

Für gewöhnlich gilt: Der Sieg hat viele Väter, die Niederlage ist ein Waisenkind. In Italien ist es diesmal anders. Premier Matteo Renzi hat sich sofort zur Vaterschaft für das Referendums-Desaster bekannt und durch seinen Rücktritt die Konsequenzen gezogen. Diese Haltung unterscheidet ihn von vielen Politikern, dafür verdient er Respekt. Die Italiener und alle Europäer verlieren in ihm einen intelligenten, tatkräftigen und leidenschaftlichen Reformer, und dieser Verlust ist schwer zu kompensieren.

Renzi übernahm die Regierungsgeschäfte 2014 in schwierigster Lage. Das Land befand sich politisch, wirtschaftlich und sozial in einer desolaten Situation. Eine reformunwillige und -unfähige politische Kaste, zu der rechte wie linke Politiker zählten, hatte Italien über Jahrzehnte herabgewirtschaftet und zu einem kranken Teil Europas gemacht. Renzi schaffte es nicht, diese tief gehende Misere in knapp drei Jahren aufzulösen. Dafür hätte er ein Zauberer sein müssen. Aber der junge Premier ging lustvoll und beharrlich daran, die Grundlagen dafür zu legen, dass es den Italienern in acht, zehn oder 15 Jahren nachhaltig besser geht. Doch so viel Geduld - die schwer aufzubringen ist, wenn es einem schlecht geht - hatte die Mehrheit der Wähler nicht.

Das Nein wurde von einer überwältigenden Mehrheit gerufen

Das Nein zur Verfassungsreform ist faktisch auch ein Nein zu Renzi und zu seinem Reformkurs. Es ist nicht knapp ausgefallen wie das Nein der Briten zu Europa oder das Nein der US-Bürger zum Clinton-Clan und der Politik in Washington. Die Italiener haben vielmehr, bei hoher Wahlbeteiligung, mit einer überwältigenden Mehrheit Nein gerufen. Diese Demonstration lässt sich nicht nur mit Unmut über einen Premier erklären, der manchmal nassforsch und überheblich aufgetreten ist und zu viel versprochen hat.

Die Schwere dieser Niederlage hat drei Gründe: Erstens konnten sich hinter dem Nein als gemeinsamem Nenner die unterschiedlichsten Gruppen und Interessen im Lande sammeln. Dazu gehörten viele Opfer der langen Wirtschaftskrise, Globalisierungs- und Euro-Gegner, EU-Skeptiker, radikale Linke und radikale Rechte, honorige Verfassungstheoretiker, Rassisten, Nationalisten, von Renzi abgehalfterte Alt-Politiker aller Couleur und all jene prinzipiell Wütenden, die häufig in der Fünf-Sterne-Bewegung des Komikers Beppe Grillo zu finden sind.

Die große Koalition der Verneiner wurde, zweitens, getragen von der Anti-Eliten- und Anti-Regierungsstimmung, die sich in weiten Teilen der westlichen Welt aufgebaut hat. Renzis Gegnern ist es gelungen, diese Stimmung mit Wucht gegen den Premier zu drehen. Er wurde als Teil jenes Palazzos - also einer selbstsüchtigen, intriganten Politiker-Kaste - wahrgenommen, den er eigentlich bekämpft hat. Dies führt zu dem bizarren Ergebnis, dass nun dieser Palazzo jubelt, zum Beispiel in Gestalt der früheren Premiers Massimo D' Alema und Silvio Berlusconi. Sie können jetzt wieder die Strippen ziehen, die ihnen Renzi aus der Hand gerissen hat.

Das Nein der Bürger stärkt die Kaste, die ihnen so verhasst ist

Drittens, und erst das erklärt die Wucht dieses Neins, ist Italien unter seiner turbulenten Oberfläche ein besonders konservatives Land. Jahrhundertelange Fremdherrschaft, eine von Eliten des Nordens verordnete nationale Einheit und ein schlecht funktionierender, aber geldgieriger Staat haben dazu geführt, dass sich viele Italiener nichts Gutes von Veränderungen erwarten, die von oben kommen. Sie sind unter dem Staat abgetaucht, haben sich in der Misere ihres Landes eingerichtet und halten ihr dank der Familien und Freundeskreise stand. Reformen, die diesen mühevollen, aber stabilen Status quo beeinflussen, empfinden sie als Bedrohung. Renzi, der sich als forscher Macher inszenierte, prallte an diesem Grundgefühl Italiens ab.

Die vom Volk verworfene Verfassungsreform, an der drei Jahrzehnte gearbeitet worden ist, ging von der richtigen Erkenntnis aus, dass die Regierungen in Rom zu schwach sind, um wirkungsvoll zu handeln und Wahlprogramme umzusetzen. Das komplizierte Politsystem führte vielmehr dazu, dass die Regierenden ständig lavieren, neue, prekäre Mehrheiten suchen und abstruse Bündnisse eingehen mussten. Dies war ideal für Glücksritter und Strippenzieher und brachte jenen Palazzo hervor, der dem italienischen Volk so verhasst ist. Die Reform hätte die Regierungen gestärkt und es ihnen erleichtert, den Wählerwillen umzusetzen. Das aber haben die Wähler nun vereitelt.

Italien wird jetzt wohl weiter wursteln und weiter leiden, oder sich unter autoritären Hetzern wie Beppe Grillo in einen Abgrund stürzen. Dennoch gibt es Positives. Tausend Tage Renzi haben gezeigt: Italien ist reformierbar - wenn die Bürger es wollen.

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