Verfassungsrechtler:Gegen Kopftücher in der Schule

Mit einem Rechtsgutachten wirbt Terre des Femmes für ein Kopftuchverbot.

Von Paul Munzinger

Ein Kopftuchverbot für Schülerinnen unter 14 Jahren wäre mit dem Grundgesetz vereinbar. Zu diesem Ergebnis kommt der Tübinger Professor und Verfassungsjurist Martin Nettesheim in einem Gutachten, das er im Auftrag der Frauenrechtsorganisation Terre des Femmes erstellt hat. Am Donnerstag stellte er es auf einer Pressekonferenz in Berlin vor. Ein Kopftuchverbot würde dem 42-seitigen Gutachten zufolge weder die Religionsfreiheit der Kinder beeinträchtigen, noch wäre es ein unverhältnismäßiger Eingriff in die Erziehungsrechte der Eltern. "Gesetzgeberische Erziehungsziele lassen es zu", schreibt Nettesheim, "in der Schule äußere Manifestationen mit religiöser Konnotation durch noch nicht glaubensreife Kinder zu unterbinden."

Über ein Kopftuchverbot in der Schule wird seit Jahren diskutiert, die Frage ist politisch wie juristisch umstritten. Nettesheim stellt sich mit seiner Analyse etwa gegen den Wissenschaftlichen Dienst des Bundestags, der 2017 feststellte, dass ein Kopftuchverbot für Schülerinnen "verfassungsrechtlich wohl nicht zulässig wäre". Nachdem das österreichische Parlament im Mai ein solches Verbot für Grundschulen beschlossen hatte, gab auch eine Gruppe von Bundestagsabgeordneten der CDU ein Gutachten bei dem Würzburger Rechtsprofessor Kyrill-Alexander Schwarz in Auftrag. Es soll im Herbst vorliegen.

Die Organisation Terre des Femmes, die sich für Gleichberechtigung und Selbstbestimmung von Frauen engagiert, setzt sich für ein Kopftuchverbot ein, das für Kinder unter 18 Jahren gelten soll. "Kinderverschleierung" sei "ein modernes Phänomen des islamischen Fundamentalismus, das auf frühe Indoktrination und gegen die verfassungsmäßig garantierte Gleichberechtigung der Geschlechter zielt". Wie viele Kinder tatsächlich ein Kopftuch in der Schule tragen, ist unklar. In Grundschulen handelt es sich nach Einschätzung von Experten um Einzelfälle, auf den weiterführenden Schulen sind es zum Teil deutlich mehr, besonders in Großstädten. In einer Umfrage von Terre des Femmes gaben 78 Prozent der insgesamt allerdings nur 252 befragten Lehrkräfte an, Schülerinnen mit Kopftuch zu unterrichten.

Ein Kopftuchverbot, argumentiert Nettesheim in seinem Gutachten, sei bereits jetzt möglich, um Konflikte im Schulablauf zu verhindern. Das Grundgesetz aber schreibe der Schule eine Rolle zu, die darüber hinausreiche. Es "ermöglicht und fordert eine Erziehung zur Freiheit, durch die die Schülerinnen und Schüler zur Entwicklung einer selbstbestimmten, aber auch sozial integrierten und verantwortlichen Persönlichkeit angeleitet werden". Die Verfassung erlaube es, wenn der Gesetzgeber "Schule als Raum konzipiert, in dem Manifestationen partikularer Lebensformen zurückgedrängt werden, um Offenheit zu schaffen". Zwar schütze die Religionsfreiheit das Tragen eines Kopftuchs, doch müssten Kinder eine "bestimmte intellektuelle Reife" entwickeln, ehe ihre Handlungen "als Ausdruck selbstbestimmter und verantwortlicher Ausübung der Religionsfreiheit angesehen werden können". Es spreche nichts dagegen, als Schwelle ein Alter von 14 Jahren anzunehmen.

Nettesheim stellt aber auch klar: Das Kopftuch in der Schule zu verbieten, aber andere religiös konnotierte Kleidung wie etwa eine Kippa zu erlauben, wäre "problematisch".

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