Verfassungsklagen gegen ESM und Fiskalpakt:Endlich kommt es zum Schwur

Bundestag und Bundesrat haben dem Rettungsschirm ESM und dem Fiskaplakt zugestimmt. Sogleich sind in Karlsruhe eine Reihe von Verfassungsklagen eingegangen: Verschiedene Gruppen versuchen, dem Bundestag jene Rechte zu erhalten, die dieser durch den Vertrag über den Euro-Rettungsschirm verlöre.

Heribert Prantl

In Sachen Europa ist der CSU-Bundestagsabgeordnete Peter Gauweiler der erfahrenste und erfolgreichste Kläger, den es in Europa gibt. Er hat immer wieder mit enormem Einsatz von Zeit, Geld und Engagement dem Bundestag Rechte erstritten, die dieser aus Schwäche und Feigheit nicht selbst ergriffen hatte.

Sondersitzung der CSU

Der Erfahrenste unter den Klägern: Der CSU-Bundestagsabgeordnete Peter Gauweiler.

(Foto: dpa)

So war das bei seiner Klage gegen den Lissabon-Vertrag, so war das bei seiner Klage gegen den ersten Rettungsschirm. Diesmal, wieder mit dem Freiburger Professor Dietrich Murswiek als Rechtsvertreter, erhebt er zum einen Verfassungsbeschwerde, zum anderen Organklage wegen der Verletzung seiner Rechte als Abgeordneter.

Zur Organklage: Das ESM-Finanzierungsgesetz sei im Bundestag fehlerhaft eingebracht, dadurch sei er in seinen Rechten als Abgeordneter verletzt worden. "Wenn ein so komplexes Thema wie die Mitwirkung des Bundestags an den vielfältigen Entscheidungen des ESM zum ersten Mal am 29. Juni um 17 Uhr im Plenum Beratungsgegenstand ist und dann sofort zur Entscheidung gestellt wird", sei das - für das wichtigste europäische Gesetzespaket seit dem Maastricht-Vertrag, also seit 1993 - unangemessen.

Gauweiler erinnert in seinem Schriftsatz an die erste Lesung vom 29. März 2011: Der Gesetzentwurf enthielt eine Leerstelle. Paragraf 3 des Gesetzentwurfs in der ersten Lesung lautete: "Beteiligungsrechte: (1) ..." Es seien also damals "Gesetzentwürfe ohne Inhalt, leere Gesetzesmäntel" zur Beratung gestellt worden.

Es habe sich somit gar nicht um eine ordentliche Gesetzesvorlage gehandelt. Und bis kurz vor der Plenarentscheidung an diesem Freitag sei im Dunkeln geblieben, wie die Parlamentsbeteiligung an der ESM-Finanzierung im Detail ausschauen soll. Das sei ein massiver Verstoß gegen das Urteil des Verfassungsgerichts vom 19. Juni 2012. Darin haben die Richter die Bedeutung der Öffentlichkeit der parlamentarischen Beratung hervorgehoben. Gauweiler argumentiert: Auch die Öffentlichkeit habe den Gesetzgebungsprozess nicht kritisch begleiten können.

21 Kritikpunkte

Die Verfassungsbeschwerde gegen den ESM zählt 21 Kritikpunkte auf. Unter anderem: Der ESM führe in einen Haftungs- und Leistungsautomatismus, der so nicht hingenommen werden könne. Entscheidungen der ESM-Organe über die Gewährung von Stabilitätshilfen (also über Bailouts zugunsten von Staaten in Zahlungsschwierigkeiten), über Darlehen an hilfsbedürftige Euro-Staaten, über vorsorgliche Finanzhilfen, über den Ankauf von Staatsanleihen seien nach dem Rettungsschirm-Urteil des Bundesverfassungsgerichts ohne konstitutive Zustimmung des Bundestags nicht möglich.

Zentrale Zuständigkeiten der nationalen Parlamente würden also vom ESM nicht respektiert. "Wenn aber das Gericht der Meinung sein sollte, dass der Vertrag an diesem Mangel nicht scheitern sollte, dann muss es mit einem Ankündigungsschreiben der Bundesregierung signalisieren, dass eine solche Vertragsgestaltung künftig nicht mehr akzeptiert wird".

Die innere Struktur des Europäischen Stabilitätsmechanismus sei undemokratisch. Die mangelnde parlamentarische Verantwortlichkeit der Mitglieder des ESM-Direktoriums auf nationaler Ebene würde nicht durch demokratische Legitimation auf europäischer Ebene kompensiert. Im Gegenteil: Das Europäische Parlament spiele im Rahmen des ESM überhaupt keine Rolle. Die Immunitätsregeln für ESM-Mitglieder seien im Übrigen unvereinbar mit dem Gleichheitssatz.

Der ESM-Vertrag trage dazu bei, "das Erpressungspotenzial systemisch relevanter Banken zu verstetigen und zu verstärken, statt es zu beseitigen". Diese Banken würden in die Lage versetzt, von den Parlamenten Rettungspakete in Höhe dreistelliger Milliardenbeträge zu erzwingen. Die Duldung und aktive Förderung eines solchen Erpressungspotenzials sei mit dem Demokratieprinzip unvereinbar.

Der Fiskalvertrag schließlich sei ein Eingriff in die verfassungsgebende Gewalt des Volks. Zwar scheine die Schuldenbremse des Pakts nicht über das hinauszugehen, was das Grundgesetz bereits vorschreibt. Allerdings verpflichte sich Deutschland, die Schuldenbremse für alle Zukunft aufrechtzuerhalten. Das heißt: Für den verfassungsändernden deutschen Gesetzgeber bestünde keinerlei Freiheit mehr. Der Bundestag habe auch mit Zweidrittelmehrheit kein Recht, diese Freiheit aufzugeben.

"Erosion rechtsstaatlichen Denkens"

Die Initiative "Mehr Demokratie" hat einen schönen Wahlspruch: "Wenn wir aufhören, die Demokratie weiterzuentwickeln, dann fängt die Demokratie an aufzuhören." Das ließe sich auch als Motto über ihre 12.015 Verfassungsbeschwerden schreiben, die an diesem Freitag in Karlsruhe eingereicht werden.

Pk des Vereins Mehr Demokratie - Herta Däubler-Gmelin

Gegen die Devise "Not kennt kein Gebot": Die ehemalige Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin (SPD).

(Foto: dpa)

Gerügt wird eine "Grundrechtsverletzung durch unterlassene Volksabstimmung". Mit dem ESM und dem Fiskalpakt würden zentrale Bereiche staatlicher Funktionen vergemeinschaftet, "ohne dass die verfassungsgebende Gewalt des Volks in die Entscheidung einbezogen wurde". Ein zweiter Schwung an Verfassungsbeschwerden mit den Klägern, die erst nach dem Stichtag 18. Juni unterschrieben habe, ist bereits in Vorbereitung.

Die Verfassungskläger rügen tief greifende Strukturveränderungen im staatsorganisatorischen Gefüge, die "ohne Beteiligung der verfassungsgebenden Gewalt des Volks beschlossen worden sind". Der ESM stehe außerhalb demokratischer Kontrolle, er agiere unreguliert und intransparent. Derartige kontrollfreie Räume stünden im Gegensatz zum Demokratiegebot des Grundgesetzes. Die Verfassungskläger rügen auch einen Verstoß gegen den Europaartikel 23 des Grundgesetzes: Der verpflichte Deutschland auf ein Europa, das demokratischen und rechtsstaatlichen Grundsätzen folge.

Der Fiskalpakt enthalte zu weitreichende Eingriffsbefugnisse gegenüber den Mitgliedsstaaten. Alle Mitgliedsstaaten, die sich in einem Defizitverfahren nach den EU-Verträgen befinden, müssten künftig ein verbindliches Haushalts- und Wirtschaftspartnerschaftsprogramm "zur Genehmigung vorlegen", das die einzelnen Maßnahmen beschreibt. Kommission und Rat hätten dann künftig ein Vetorecht gegen die nationale Wirtschaftspolitik.

Damit verlasse der Fiskalpakt den vorgegebenen Integrationsrahmen. Der Bundestag sei nicht befugt, demokratische Gestaltungsrechte dergestalt preiszugeben, dass staatliche Funktionen ohne hinreichende demokratische Legitimation ausgeübt werden. Hierzu sei er im Verhältnis zum Wahlbürger nicht berechtigt. Das Wahlrecht würde auf diese Weise ausgehöhlt.

Ähnliche Vorwürfe zielen gegen den ESM. Der Bundestag entäußere sich in verfassungswidriger Weise seiner Haushaltsautonomie und seiner parlamentarischen Gestaltungs- und Kontrollfunktionen gegenüber der Exekutivgewalt. Die Konstruktion des ESM sei "präzedenzlos" mit "nahezu unbegrenzten Handlungsbefugnissen". Nach dem Vertragstext dürfe der ESM sämtliche Bankgeschäfte tätigen, ohne auf eine Banklizenz angewiesen zu sein, er könnte sich also zum Beispiel auch bei der EZB refinanzieren, dafür bestehe kein Parlamentsvorbehalt.

Die Verfassungsbeschwerden klagen über eine Vergemeinschaftung von Staatsschulden, ähnlich wie dies der Fall wäre bei der Ausgabe von Euro-Bonds. Mit der Zustimmung zum ESM gebe die Bundesrepublik endgültig jene Sicherheiten preis, die das Risiko des Eintritts in die Währungsunion als tragbar hätten erscheinen lassen.

Paradigmenwechsel bei den Linken

Die frühere Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin und der Leipziger Verfassungsrechtler Christoph Degenhart, die die Schriftsätze verfasst haben, erklärten der SZ, es gehe ihnen darum, "die Erosion rechtsstaatlichen Denkens" zu stoppen. Die Devise "Not kennt kein Gebot" dürfe nicht einreißen.

Bei den Karlsruher Klagen der Linken fällt, im Vergleich zu früher, ein Paradigmenwechsel auf: Die Linke gibt ihre Fundamentalkritik an der EU auf, sie wirbt für ein demokratisches Europa. Vertreten wird die Linke, wie schon zuletzt in Karlsruhe, vom Bielefelder Staatsrechtler Andres Fisahn, hinzugekommen ist Hans-Peter Schneider, Ordinarius in Hannover, der große alte Herr des Verfassungsrechts in Deutschland. Vorgelegt werden Verfassungsbeschwerden aller Bundestagsabgeordneten der Linken sowie eine Organklage der Fraktion.

Der Schriftsatz zitiert Carlo Schmid aus der zweiten Sitzung des Plenums des Parlamentarischen Rats vom 8. September 1948: Die völker- und staatsrechtliche Souveränität verlange "gerade für ihre konstitutionellen Grundlagen die Unabhängigkeit von fremdem Willen". Das gelte nach ESM und Fiskalpakt nicht mehr.

Die Klage der Linken drängt daher auf Volksabstimmung nach Artikel 146 Grundgesetz: Dort würde ein Teilhaberecht des wahlberechtigten Bürgers geschaffen. Die Kläger verweisen auf die bisherige Rechtsprechung: Die unwiderrufliche Souveränitätsübertragung auf ein neues Legitimationsobjekt sei darin "allein dem unmittelbar erklärten Willen des Deutschen Volks vorbehalten".

Der Fiskalpakt gebe dem Europäischen Gerichtshof die Kontrollbefugnis über die korrekte Umsetzung der Schuldenbremse. Damit würde faktisch das Grundgesetz geändert. Es finde eine Kompetenzverschiebung vom Bundesverfassungsgericht zum Europäischen Gerichtshof in Luxemburg statt, die ein zentrales Strukturelement des Grundgesetzes verändere.

Der Fiskalpakt schaffe auf europäischer Ebene eine Zentralisierung mit mehr Kompetenzen. In Deutschland habe der Bund keine Befugnis, Haushalte der Länder zu kontrollieren. Der ESM habe diese gegenüber der Bundesrepublik und ihrem Haushalt sehr wohl. Es würden also Kompetenzen an die EU abgegeben, die ein neues Niveau der europäischen Integration begründen. Über eine solche neue Machtverteilung zwischen Nationalstaat und EU müsse das Volk abstimmen.

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