Institution Verfassungsgerichtsbarkeit:Bundesverfassungsgericht - die fragile Festung

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Verfassungsgericht urteilt zu Oppositionsrechten

Andreas Voßkuhle, Vorsitzender des Zweiten Senats beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe.

(Foto: dpa)

In Polen, Ungarn und der Türkei werden die obersten Gerichte geschleift. Kann das ein Menetekel sein, womöglich gar für Deutschland?

Von Wolfgang Janisch

Wer sich in diesen Wochen mit deutschen Verfassungsrichtern unterhält, der hat es leicht, ein düsteres Thema zu finden. Ein paar Stichworte genügen, wie das eben so ist in schlechten Zeiten: Polen! Ungarn! Türkei! Gut, man kann einfach "Trump" sagen, auch das reicht, um liberale Geister in eine apokalyptische Stimmung zu versetzen. Aber was in der Türkei, in Ungarn und ganz aktuell in Polen geschieht, trifft die Verfassungshüter härter und direkter.

Erstens ganz persönlich, denn viele Richter unterhalten Beziehungen zu ausländischen Kollegen, denen gerade das Gehalt gestrichen oder die Wohnung geräumt worden ist - von der drohenden oder bereits vollzogenen beruflichen Entmachtung gar nicht zu reden. Zweitens aber löst sich nun, da Verfassungsgerichte vor den Augen der europäischen Öffentlichkeit zertrümmert werden, eine große Hoffnung in nichts auf: dass die Rechtsstaatlichkeit - mühsam, aber stetig - immer weiter vorankommen würde.

In Polen etwa steuert das epische Drama in diesen Tagen auf einen Höhe- oder besser Tiefpunkt zu. An diesem Montag endet die Amtszeit des Gerichtspräsidenten Andrzej Rzepliński, der sein Gericht wie ein Löwe gegen die Regierungspartei mit dem höhnisch klingenden Namen "Recht und Gerechtigkeit" verteidigt hat. Mit seiner Pensionierung fällt der erste Turm, die feindliche Übernahme des Gerichts schreitet voran. Die Regierung versucht, den Rechtsbruch hinter einer klapprigen rechtsstaatlichen Fassade aus Verfahrensregeln und Wahlmodi zu verbergen, aber am kühlen Plan ändert es nichts: Ein echtes Verfassungsgericht mit unabhängigen Richtern wird es in Warschau vermutlich bald nicht mehr geben.

Und das ist beileibe kein isoliertes Phänomen. In Russland etwa gaben die Urteile des Verfassungsgerichts vor nicht allzu langer Zeit noch Anlass zu Hoffnung - doch damit ist es inzwischen vorbei. Auch anderswo, wie etwa in Rumänien, gerieten die obersten Gerichtshöfe unter Druck. "Der Angriff auf den Rechtsstaat beginnt mit einem Angriff auf das Verfassungsgericht", diagnostizierte Viviane Reding, Ex-Vizepräsidentin der EU-Kommission.

Doch die Karlsruher Ängste sitzen sehr viel tiefer. Die Wucht, aber auch die Leichtigkeit, mit der die Zentralen des Rechts geschleift werden, offenbaren, wie fragil die Institution Verfassungsgerichtsbarkeit ist. Sie hat dem Machtwillen von Autokraten wenig entgegenzusetzen. Das hat damit zu tun, dass Populisten wie Kaczyński oder Orbán mit einem so kruden wie effektiven Demokratieverständnis operieren. Es beschränkt sich auf die Aussage "Mehrheit ist Mehrheit".

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