Verfassungsfeinde im Staatsdienst:Die Demokratie muss sich vor ihren Verächtern schützen

Chemnitz

Demonstranten der rechten Szene vergangene Woche in Chemnitz.

(Foto: dpa)

Viele Anhänger von AfD, Pegida und anderen Rechtspopulisten lehnen den Staat ab. Für sie darf im öffentlichen Dienst kein Platz sein.

Kommentar von Detlef Esslinger

Vor einer Woche äußerten drei Abgeordnete der AfD im baden-württembergischen Landtag den Verdacht, Beschäftigte von Behörden würden Termine von Abschiebungen durchstechen. Das würde es abgelehnten Asylbewerbern möglich machen, rechtzeitig unterzutauchen. Die Abgeordneten erstatteten Strafanzeige wegen des Verrats von Dienstgeheimnissen. Die AfD in diesem Landtag kann jedoch auch anders: Am Freitag bot einer ihrer Abgeordneten einem Mann einen Job an, der sich des Verrats von Dienstgeheimnissen sogar rühmt. Es handelte sich um jenen sächsischen Justizbeamten, der den Haftbefehl gegen den einen der mutmaßlichen Totschläger von Chemnitz fotografiert und in die Öffentlichkeit gebracht hatte. Zur Begründung sagte der AfD-Abgeordnete, dieser Beamte sei ein Held.

Die beiden Fälle sind überaus instruktiv, um zu klären, welchen Charakter die Partei mittlerweile hat - und welche ihrer Anhänger und Repräsentanten der öffentliche Dienst nicht weiter beschäftigen kann. Schon lange ist die AfD keine Partei mehr, die beinhart, aber mit Respekt vor den Regeln von Rechtsstaat und Demokratie gegen Euro-Rettung oder Migrationspolitik kämpft. Eine solche Opposition wäre nicht nur hinzunehmen, sondern sie wäre legitim und im besten Fall sogar belebend. Doch inzwischen jonglieren AfD-Politiker regelmäßig mit Nazi-Vokabular; sie rufen ihre Anhänger dazu auf, das "Recht" (respektive das, was sie dafür halten) selbst in die Hand zu nehmen; sie verbreiten, ihr angeblich so vornehmer Zweck heilige die Mittel.

Den Rechtsstaat findet die AfD-Fraktion im baden-württembergischen Landtag so lange gut, wie er im Kampf um Abschiebungen nutzbar ist. Aber sie ignoriert ihn, sobald sie seine Regeln als lasch oder vertuschend empfindet; dann werden schnell "Rechtfertigungsgebäude" gezimmert, wie der Dienstrechtler Christian Koch von der Universität Speyer dies nennt. Eine frühere AfD-Funktionärin hat soeben ein Buch veröffentlicht, warum sie die Partei verlassen hat. Franziska Schreiber sagt über die AfD: "Sie lehnt das ,System' ab, und die maßgeblichen Führungsfiguren betreiben den Umsturz."

Vor Menschen, die Distanz oder gar Gegnerschaft zur Verfassung predigen, muss die Demokratie sich schützen. Erst recht darf sie solche Menschen nicht unter ihren Bediensteten dulden - eine auf Distanz zum Grundgesetz stehende Partei kann die Demokratie nämlich nicht nur durch Wahlerfolge aushebeln, sondern auch dadurch, dass sie genügend Aktivisten in der Verwaltung hat. Deshalb enthalten das Beamtenstatusgesetz und die Tarifverträge für den öffentlichen Dienst seit jeher den Passus, dass die Beschäftigten sich "durch ihr gesamtes Verhalten" zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes bekennen müssen. Für Beamte gilt zudem das Gebot der Mäßigung. Sie dürfen auch außerhalb des Dienstes nicht den Argwohn erwecken, im Dienst parteiisch und voll missionarischen Eifers zu sein.

Es war daher unvermeidlich, den Dresdner Gefängnisbeamten zu suspendieren; als Beamter dürfte er keine Zukunft mehr haben. Ebenso war es wohl richtig, jenen Angestellten des sächsischen Landeskriminalamts, der es als "Hutbürger" zu zwei Wochen Ruhm gebracht hat, aus dem Polizeidienst zu nehmen. Indem es ihm unter Verdrehung der Gesetze gelang, Filmaufnahmen einer Pegida-Demo zu stoppen, legte er ein Verhalten an den Tag, das Zweifel an seinem Demokratieverständnis provozierte. In den anschließenden Gesprächen mit seinem Arbeitgeber scheint er solche Zweifel eher vergrößert als verkleinert zu haben. (Und, um dies klar zu sagen: Sollte jemand Abschiebungstermine durchstechen, hätte auch er sich für eine Tätigkeit beim Staat disqualifiziert.)

Rechtliche Möglichkeiten gibt es einige

Was folgt aus solchen Fällen? Überzogen wäre es, alle Bewerber für den öffentlichen Dienst wieder vom Verfassungsschutz überprüfen zu lassen; wie es Hessen für Richter erwägt und Bayern praktiziert. Vermessen wäre auch, jedes AfD-Mitglied und jeden AfD-Sympathisanten für eine Tätigkeit beim Staat zu sperren; diese Linie hätte vor keinem Gericht Bestand, sie wäre eine Blamage - erst recht, solange die Partei vom Verfassungsschutz nicht einmal beobachtet wird.

Im Disziplinarrecht gibt es unter anderem die Strafen des Verweises, der Kürzung der Bezüge sowie der Entfernung aus dem Beamtenverhältnis; das Arbeitsrecht kennt Abmahnung und verhaltensbedingte Kündigung. Es gibt also Instrumente, Agitatoren zu erziehen oder loszuwerden. Worauf es ankommt: dass der Dienstherr diese Instrumente nutzt. Deshalb ist es richtig, dass Berlin einem angestellten Lehrer gekündigt hat, der den Holocaust zur Lüge erklärt. Deshalb ist es richtig, dass Baden-Württemberg einen Staatsanwalt aus dem Dienst entfernen will, der jetzt für die AfD im Bundestag sitzt und mit der Beschimpfung ganzer Menschengruppen das Mäßigungsgebot verachtet. Die AfD bewirbt sich geradezu dafür, den Rechtsstaat kennenzulernen.

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