Der Populist Viktor Orbán beherrscht viele Rollen. Seine liebste ist die des Retters der Nation, der Ungarn vom Kommunismus befreit, traditionellen Werten wieder zur Geltung verhilft und die Ehre des Landes verteidigt. Die Wähler haben ihm 2010 für seine Mission ordentlich den Rücken gestärkt: Mit der Zweidrittelmehrheit seiner rechts-konservativen Fidesz-Partei kann er in Budapest durchregieren.
Eine zweite Revolution hatte Orbán zum Start seiner Amtszeit angekündigt, und es sieht so aus, als wäre der ungarische Staat bald wirklich nicht mehr jener, der er war. Im Schnellverfahren wurde eine neue Verfassung verabschiedet, die Glaube, Familie und Nationalstolz als höchste Güter nennt.
Seit sie vor einem Jahr in Kraft getreten ist, kamen immer neue Ergänzungen hinzu, die darauf zielten, die Nationalbank dem EU-Einfluss zu entziehen, Pensionen früherer Präsidenten zu sichern oder das Wahlrecht den Bedürfnissen von Fidesz anzupassen.
Auf Mahnungen aus Brüssel hin schlüpft Orbán stets in seine zweitliebste Rolle: die des guten Demokraten und überzeugten Europäers, der Verständnis für die Sorgen der Partner zeigt, zu Hause ein paar Kleinigkeiten ändert - um dann zum nächsten Schlag anzusetzen. Der jüngste trifft das Herz des Rechtsstaats: die Unabhängigkeit der Justiz. Die größte Gefahr für die Nation, diesmal droht sie von ihrem größten Verehrer.