Süddeutsche Zeitung

Verena Becker, die RAF und der Buback-Mord:Krieg und Frieden

Verena Becker ist zurück in Stammheim. Der Mord an Generalbundesanwalt Siegfried Buback wird neu aufgerollt. Doch der Prozess wird anders als die Verfahren der siebziger und achtziger Jahre: Die Zeit der Notwehr-Justiz gegen die RAF ist vorüber - die Verhandlung gegen Becker gibt der Wahrheit eine Chance.

Heribert Prantl

Im Dienstgebäude der Bundesanwaltschaft zu Karlsruhe ist seit kurzem eine Ausstellung mit Justiz-Karikaturen zu sehen; sie heißt "Sehe ich Recht?" Die Zeichnungen stammen von Philipp Heinisch. Justizbehörden treten neuerdings ganz gern als Aussteller auf, das gibt ihnen ein aufgeschlossenes Image. Das Besondere an der Ausstellung ist ein merkwürdiges Zusammentreffen.

Der Karikaturist war einst Strafverteidiger in RAF-Verfahren, unter anderem 1977 in Stuttgart-Stammheim, wo fast gleichzeitig die Prozesse gegen Verena Becker und Günter Sonnenberg stattfanden. Beide RAF-Mitglieder wurden zu lebenslanger Haft verurteilt - wegen der Schüsse, die sie bei ihrer Festnahme in Singen auf Polizisten abgefeuert hatten. Die Verteidigung von Günter Sonnenberg damals war für Philipp Heinisch "die härteste, mit der ich je zu tun hatte". Unter anderem deswegen hängte er den Beruf des Strafverteidigers an den Nagel und wurde juristischer Karikaturist.

Und just jetzt, während Heinischs Karikaturen über Recht und Gerechtigkeit die Räume der Bundesanwaltschaft schmücken, werden die Ereignisse von damals noch einmal aufgerollt. Verena Becker steht aufgrund einer Anklage der Bundesanwaltschaft abermals in Stammheim vor Gericht - nun wegen Mordes an Generalbundesanwalt Siegfried Buback. Ist das Recht, 33 Jahre später? Ist es Recht, weil es nie zu spät ist für Aufklärung, für Strafe und Sühne - und weil Mord nie verjährt? Ist die neue Anklage Recht, obwohl Verena Becker schon 1977 als Mittäterin bei der Ermordung Bubacks unter Verdacht stand? Damals verfolgte die Bundesanwaltschaft diese Spuren und den Verdacht nicht weiter.

Warum nicht? Der Prozess gegen Verena Becker im Spätherbst 1977 stand im Schatten eines neuerlichen RAF-Verbrechens: der Entführung und Ermordung des Arbeitgeber-Präsidenten Hanns Martin Schleyer. Dem damaligen Generalbundesanwalt Kurt Rebmann, Bubacks Nachfolger, war an einer schnellen Verurteilung Beckers gelegen, ganz gleich wegen welcher Tat. Ihm genügte daher das "Lebenslänglich" wegen der Schüsse auf die Polizisten. Eine Verhandlung wegen des Buback-Mordes hätte lange, zu lange gedauert. Es war dies also eine prozessökonomische Entscheidung.

Schon 1977 hatte es Hinweise auf eine Beteiligung Beckers an der Ermordung von Buback gegeben. Bei ihr wurde die Waffe sichergestellt, mit der Buback erschossen worden war, ein Selbstladegewehr Heckler & Koch, Kaliber 223; außerdem ein Schraubenzieher, der womöglich aus dem Bordwerkzeug des Suzuki-Motorrads stammte, von dem aus auf Buback geschossen worden war. Aber, wie gesagt: Die Anklagebehörde versuchte damals nicht, auf diesen Spuren eine Verurteilung aufzubauen. Sie stellte das Verfahren insoweit ein.

Generalbundesanwalt Buback war, zusammen mit den ihn begleitenden Polizisten, am 7.April 1977 in seinem Dienstwagen von der RAF erschossen worden. Das Oberlandesgericht Stuttgart verurteilte im Juli 1980 den RAF-Terroristen Knut Folkerts und im April 1985 die RAF-Terroristen Brigitte Mohnhaupt und Christian Klar als Mittäter. Das Gericht ließ offen, wer genau was getan hatte. Stattdessen arbeiteten die Richter die "arbeitsteilige Kollektivität" der RAF heraus, die alle Mitglieder zu Mittätern macht. Das war juristisch vertretbar, tatsächlich aber unbefriedigend.

Das Gericht brauchte nicht zu klären, wer wie am Tatplan beteiligt war. Die Mitwisserschaft aller RAF-Mitglieder reichte für ein "lebenslänglich" aller irgendwie Beteiligten. Nach Einschätzung von Kriminalisten waren an der Planung und Durchführung des Mordes bis zu zwei Dutzend Personen beteiligt. Aber nur drei sind deswegen verurteilt worden. Verena Becker wurde nach zwölf Jahren Haft 1989 von Bundespräsident Richard von Weizsäcker begnadigt. Erst 2007, dreißig Jahre nach den Mordtaten, wurde dann bekannt, dass sie in den achtziger Jahren ausgesagt hatte, Stefan Wisniewski sei Bubacks Todesschütze gewesen. Auch Ex-Terrorist Peter-Jürgen Boock belastete Wisniewski. Daraufhin begann die Bundesanwaltschaft, gegen ihn zu ermitteln, Spurenanalysen erhärteten den Verdacht allerdings nicht.

In einem Gastbeitrag für die Süddeutsche Zeitung äußerte dann Michael Buback, der Sohn des Ermordeten, am 1.Mai 2007 die Vermutung, eine Frau sei an der Ausführung der Tat beteiligt gewesen - die Vermutungen gingen stets in Richtung Verena Becker. Die Bundesanwaltschaft begann im April 2008, neu gegen sie zu ermitteln. Sie fand DNS-Spuren Beckers an Bekennerschreiben zum Mord an Buback, sie durchsuchte Beckers Wohnung und erwirkte sodann gegen sie einen Haftbefehl wegen Mordes.

Der Bundesgerichtshof hob die Untersuchungshaft wieder auf, weil er den Tatbeitrag, der Becker vorgeworfen wurde, nur als Beihilfe wertete. Gleichwohl klagte die Bundesanwaltschaft Verena Becker im April 2010 wegen Mittäterschaft an der Ermordung an. Sie sei zwar an der Tatausführung nicht unmittelbar beteiligt gewesen, habe aber die konkreten Tatplanungen bejaht. Darüber wird nun vor Gericht verhandelt.

Philipp Heinisch, RAF-Verteidiger von 1977/78, hat sich die Qualen von damals von der Seele gezeichnet. Es gab unendliche, scharfe und schärftste Auseinandersetzungen - zwischen Verteidigern und Anklägern, zwischen Verteidigern und Gericht.

Der Staat und seine Organe fühlten sich im Ausnahmezustand; und so wurden die Stammheimer Prozesse auch geführt: als Notwehraktionen des Staats gegen die RAF, am Rande der Prozessordnung oder jenseits davon. Heinisch konnte nicht verhindern, dass seinem Mandanten, der bei der Verhaftung einen Kopfschuss erlitten hatte, volle Verhandlungsfähigkeit attestiert wurde. Die Strafverteidiger selbst galten ja den Anklägern als verdächtig, als "RAF-Anwälte" eben - und so wurden sie auch behandelt. Am liebsten hätte man sie verhaftet. Das Prozessklima war katastrophal. Es war kein Klima der Aufklärung. Das ist heute anders. Die große Konfrontation ist vorbei, die RAF ist Geschichte. Über die Taten von damals kann also anders verhandelt werden als damals. Vielleicht ist das eine Chance des neuen Prozesses gegen Verena Becker. Vielleicht kann er der Wahrheitsfindung dienen. So oder so: Der Prozess wird Rechtsgeschichte schreiben.

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Quelle:
SZ vom 30.09.2010/jab
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