Vereitelter Anschlag in Sachsen:Wie Polizei und Geheimdienste gemeinsam Terroristen aufspüren

Wenn es Hinweis auf Anschlagspläne gibt, sollen sich Vertreter von 40 deutschen Sicherheitsbehörden austauschen. Im Fall Dschaber al-Bakr hat das wohl funktioniert.

Wenn die Sicherheitsbehörden einen mutmaßlichen Terroristen festnehmen, steht am Anfang der Ermittlungen oft nicht mehr als ein Tipp. Er kann aus der Bevölkerung kommen, von Verwandten eines Verdächtigen, von Betreibern von Flüchtlingsheimen oder von einem ausländischen Geheimdienst.

Im Chemnitzer Fall waren es Hinweise auf einen möglichen Anschlag auf Verkehrsknotenpunkte im Raum Leipzig oder Chemnitz. Woher die Informationen stammten, ist noch unbekannt. Sie führten die Behörden aber zu dem 22-jährigen Syrer Dschaber al-Bakr, der am 18. Februar 2015 als Flüchtling in Sachsen registriert und im Juli anerkannt wurde.

Die Informationen wurden vor einigen Wochen in das Gemeinsame Terrorismus-Abwehrzentrum (GTAZ) in Berlin getragen. Im GTAZ besprechen sich seit 2004 täglich Vertreter des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) und der entsprechenden Landesämter, des Bundeskriminalamtes (BKA), der Landeskriminalämter und des Bundesnachrichtendienstes (BND). Auch der Militärische Abschirmdienst (MAD), das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, die Bundespolizei, der Generalbundesanwalt und das Zollkriminalamt schicken einen Vertreter.

Plattform zum Austausch von Informationen

Da in Deutschland Nachrichtendienste und Polizei getrennt voneinander arbeiten müssen, ist das Zentrum keine Behörde. Vielmehr ist es eine Informations- und Kommunikationsplattform unter Federführung von BfV und BKA. Insgesamt 40 Behörden tauschen sich hier vor allem über mögliche Dschihadisten, Ermittlungsverfahren gegen mutmaßliche Terroristen oder ihre Helfer sowie das islamistische Gefährdungspotenzial in Deutschland überhaupt aus. Außerdem werden sie über Erkenntnisse ausländischer Behörden auf dem Laufenden gehalten.

Sind Hinweise konkret genug, werden von den Behörden Sonderkommissionen gebildet, die etwa mit mobilen Einsatzkommandos (MEK) Verdächtige observieren und Telefone abhören. Für solche Maßnahmen werden die lokalen Staatsanwaltschaften und Innenministerien der Länder eingebunden. Die von den Sonderkommissionen gewonnenen Erkenntnisse werden dann wieder im GTAZ diskutiert. Dort fielen 2015 zum Beispiel die Entscheidungen, vor einem möglichen Anschlag an Silvester in München und vor dem Fußballspiel Deutschland gegen die Niederlande in Hannover zu warnen. Die Ermittlungen gegen die "Sauerland-Gruppe" 2007 wurden offenbar auch durch die Zusammenarbeit im GTAZ zum Erfolg.

Konkrete Hinweise auf Bombenbau

Im Fall al-Bakr hatten Verfassungsschutz und BND am Freitag gewarnt, es gebe Hinweise darauf, dass bereits Chemikalien für eine Bombe besorgt worden seien. Demnach hatte er im Internet zur Herstellung von Sprengsätzen recherchiert und sich dazu notwendige Grundstoffe beschafft. "Es musste davon ausgegangen werden, dass der Sprengsatz möglicherweise in Form einer Sprengstoffweste kurz vor der Fertigstellung steht oder bereits einsatzbereit ist", sagte der Präsident des sächsischen Landeskriminalamts (LKA), Jörg Michaelis. Das Verhalten des Verdächtigen deutete außerdem auf eine Beziehung zum sogenannten Islamischen Staat hin.

Deshalb wurden die Behörden in Sachsen informiert, woraufhin das Landeskriminalamt den Einsatz organisierte, bei dem am Samstagmorgen die Wohnung des Verdächtigen gestürmt werden sollte.

Da befürchtet wurde, al-Bakr könnte eine Bombe zünden, wurde die Umgebung gesichert. Das Haus, in dem sich seine Wohnung befand, sollte evakuiert werden. Während Polizeibeamte die Stürmung des Gebäudes vorbereiteten, tauchte der Verdächtige vor dem Haus auf der Straße auf. Ob er die Überwachung zuvor bemerkt hatte, wie Bild spekuliert, ist unklar. Anwohner hatten die Vorbereitung der Polizei am Samstag beobachtet, nicht die Observation vorher.

Der Versuch, Dschaber al-Bakr auf der Straße festzunehmen, misslang trotz eines Warnschusses. Da die Sicherheitsbeamten vermuteten, dass er in die Wohnung zurückgekehrt war und möglicherweise das Haus in die Luft sprengen könnte, konzentrierten sie sich weiter auf das Gebäude, so dass al-Bakr die Flucht gelang und er erst in der Nacht zum Montag in Leipzig festgenommen wurde.

520 "Gefährder" in Deutschland

Innenminister Thomas de Maizière zufolge gibt es in Deutschland etwa 520 sogenannte islamistische "Gefährder". Dabei handelt es sich um "eine Person, bei der bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sie politisch motivierte Straftaten von erheblicher Bedeutung [...] begehen wird." Diese Definition geht auf die gemeinsame "AG Kripo" der Landeskriminalämter und des BKA aus dem Jahr 2004 zurück und wird von Polizei und Nachrichtendiensten verwendet.

Wenn etwa jemand mit islamistischen Gruppen sympathisiert und auch noch an der Waffe ausgebildet ist, wird er für die Sicherheitsbehörden interessant. Dabei kann es sich um Mitglieder sogenannter "Hit-Teams" handeln, die aus dem Ausland kommen, oder um Einzelgänger, die sich in Deutschland über das Internet radikalisiert haben. Hinweise auf mögliche "Gefährder" erhalten die Ermittler etwa über die Auswertung der Kommunikation in den sozialen Medien, durch die Auswertung der Telefone festgenommener Islamisten oder durch Hinweise ausländischer Geheimdienste.

Weitere 360 Menschen werden als "relevante" Unterstützer eingeschätzt, die etwa Geld, Wohnungen oder Autos für Gefährder organisieren.

Nicht alle "Gefährder" werden ständig überwacht. Die Behörden versuchen regelmäßig, ihren Aufenthalt zu ermitteln und ihre Kontakte zu prüfen. Der personelle Aufwand für Observationen und die juristischen Hürden etwa für Telefonüberwachungen sind jedoch hoch. Leichter ist es, die Aktivitäten der Betroffenen in den sozialen Medien gezielt im Auge zu behalten.

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