Süddeutsche Zeitung

Vereinte Nationen:Den Vereinten Nationen fehlt der moralische Kompass

Lesezeit: 3 min

Nach einem Crashkurs in internationaler Diplomatie hält Trump seine erste Rede vor den Vereinten Nationen. Und tatsächlich könnte aus dem UN-Kritiker ein UN-Verbesserer werden.

Kommentar von Tobias Matern

Für den neuen US-Präsidenten handelte es sich schlicht um eine Quasselbude, in der Diplomaten zusammenkommen, Cocktails schlürfen, "eine gute Zeit haben" und nichts zustande bringen. Die Vereinten Nationen und Donald Trump, die Weltorganisation und der Amerika-zuerst-Mann, schienen nur eine Gemeinsamkeit zu haben: eine Adresse in New York. Neun Monate später. Trump nimmt am Rande der Generalversammlung an einem Gipfel von mehr als 120 Staaten zur Reform der Weltorganisation teil. Stellt sich der mächtigste UN-Kritiker etwa an die Spitze der UN-Verbesserer?

Die Renaissance der Vereinten Nationen hat zunächst zwei Gründe: Trump und Trump. Erstens: In einem Crashkurs internationaler Diplomatie hat der Präsident verstanden, dass die UN den USA nutzen, dass er etwa sein Ziel, weniger für Blauhelm-Missionen auszugeben, leichter mit statt gegen die Institution durchsetzen kann. Vor allem ist ihm klar geworden, dass er China und Russland im Atomkonflikt mit Nordkorea braucht. Trump rückt also nicht von nationalen Interessen ab. Er erweitert seine Optionen.

Zweitens: Große Teile der Weltgemeinschaft und auch der UN-Generalsekretär haben schon länger durchschaut, dass sich auch ein erratischer US-Präsident durch die multilaterale Organisation zähmen lässt. Während der Generalversammlung werden etwa die Europäer als Mit-Architekten des iranischen Nukleardeals gemeinsam versuchen, auf Trump einzuwirken, um ihn von seinem Plan abzubringen, das Abkommen aufzukündigen. Immerhin, hier hört ein Präsident zu, der lange Zeit den Anschein vermieden hat, überhaupt jemandem zuzuhören, der nicht zu seinem Clan gehört.

Die Renaissance der UN drückt Sehnsucht nach Stabilität aus

Aber hinter der Wiederbelebung der UN steckt deutlich mehr. Sie ist Ausdruck nach einer Sehnsucht, dem Wirrwarr, den Konflikten, die jeden Winkel der Welt erreicht haben oder erreichen können, mehr Stabilität entgegenzusetzen. Nordkorea und das neue atomare Wettrüsten, Syrien, Ukraine, Terrorismus - das sind nur einige von Dutzenden Konflikten, die über Landesgrenzen hinaus wirken.

Die Rückbesinnung auf das Multilaterale ist also vor allem das Ergebnis der Weltunordnung. Niemand spricht mehr vom "Ende der Geschichte", wie es sich der Westen nach dem Kollaps des Kommunismus Ende der 1980er-Jahre ausgemalt hatte. Die Geschichte ist vielmehr in vollem Gange. Der Anspruch, dass ein politischer Liberalismus reüssiert und überall eine Demokratie nach westlicher Prägung die alten Autokratien ersetzen müsste, ist vorbei. Nun dominiert vielmehr die Frage, ob die Menschheit noch einmal so selbstzerstörerisch sein wird und die Atombombe einsetzt.

In dieser Phase fehlen ausgleichende Faktoren. Die Supermächte von einst sind verkeilt, die EU fällt noch immer als globale Ordnungsmacht aus, die Nato ist als Konfliktpartei im Duell mit Russland zu voreingenommen. Bleiben die UN, um diese Krisen wenigstens zu sortieren. Denn zu glauben, dass sie die Konflikte lösen könnten, wäre vermessen. Die Organisation kann nur so stark sein, wie ihre 193 Mitglieder es zulassen.

Aber beim Thema Atom ist auf mehreren Ebenen erkennbar, wie stark diese UN sein können. Im Tagesgeschäft lässt Trump seine UN-Botschafterin im Konflikt mit Nordkorea Runde für Runde um neue Sanktionen gegen Nordkorea ringen. Da sind Russland und auch China mit an Bord. Das ist Diplomatie, die wirkt. Auch Kim Jong-un zieht seinen Botschafter nicht aus den UN-Gremien ab, der Diktator will trotz allen Getöses vor allem eines: wahrgenommen werden und seine Macht erhalten. Der Besitz der Bombe ist seine Lebensversicherung; setzt er sie jedoch ein, ist sein Regime beendet.

Jenseits des Megakonflikts haben bei den Vereinten Nationen mehr als 120 Länder einen Vertrag ausgehandelt, der Atomwaffen verbietet. Selbst gegen den Willen der Vetomächte und nuklearer Teilhabestaaten wie Deutschland lassen sich auf dieser Bühne also Abkommen beschließen, die nicht sofort, aber zumindest für die nächste Generation eine historische Wirkung entwickeln können.

Trotz solcher Erfolge brauchen die UN Reformen, doch sie haben wenig mit Trumps gewünschter Beitragssenkung gemein. Der Sicherheitsrat müsste mehr als 70 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs die aktuellen globalen Machtverhältnisse spiegeln, also auch einem Kontinent wie Afrika und Ländern wie Indien mehr Gewicht einräumen. Auch fehlt der moralische Kompass, solange Staaten, die Menschenrechte mit Füßen treten, in den entsprechenden Gremien eine führende Rolle spielen dürfen. Die UN sind alles andere als perfekt. Aber in Zeiten der Weltunordnung wichtiger denn je.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.3671837
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 19.09.2017
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.