Süddeutsche Zeitung

Vereinte Nationen:Amerikas Abschied

Die USA haben einst die UN geschaffen, um der liberalen Weltordnung ein Gerüst zu geben und die eigene Stellung zu stärken. Nun reißt Präsident Trump diese Konstruktion mutwillig ein. Und schwächt damit auch sein eigenes Land.

Kommentar von Stefan Kornelius

Vereint waren die Vereinten Nationen natürlich nie. Der Mythos der sich herzenden Völkerfamilie und einer Weltregierung mag in den Köpfen vieler (besonders deutscher) Institutionalisten und Idealisten stecken, vielleicht auch nur, weil sie ihre eigene Verantwortung wegdelegieren und eine Sehnsucht nach weltpolitischer Abstinenz ausdrücken wollen.

In Wahrheit war das Staatengeschäft schon immer ruppig. Phasen des konstruktiven Zusammenarbeitens waren eher selten in der Geschichte der UN. Mehr noch: Die USA hegten bei der Gründung sogar die Absicht, diese Vereinten Nationen im Kampf der Systeme zu ihren Gunsten wirken zu lassen.

Die UN wurden geboren, um der liberalen Weltordnung ein institutionelles Gerüst zu geben. Die Ordnungsvorstellung der USA für die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg lebte von einem egoistischen und durchaus machtpolitischen Prinzip: Amerika garantiert Schutz (durch militärische Stärke) und Prosperität (durch freien Handel) - und im Gegenzug akzeptieren die Schutzbefohlenen die Dominanz Washingtons.

Als der Kalte Krieg vorüber war und dieses Ordnungsprinzip für etwas mehr als eine Dekade konkurrenzlos funktionierte, erlebten auch die Vereinten Nationen einen Moment der Blüte. Damit ist es schon eine Weile vorbei. Vor einem Jahr teilte Donald Trump der Vollversammlung der UN mit, er sei nicht Präsident der Welt sondern Amerikas. Das hatte niemand angezweifelt, kein Präsident vor ihm war so vermessen, für die gesamte Welt sprechen zu wollen. Aber alle Präsidenten vor Trump haben einen Gewinn darin gesehen, mit der Welt zum Vorteil der USA zusammenzuarbeiten. Auch durch die Vereinten Nationen. So denkt Trump nicht mehr.

Eine nach innen blickende, destruktive und isolationistische Supermacht

Unter diesem Präsidenten haben sich die USA in eine nach innen blickende, destruktive und isolationistische Supermacht verwandelt. Trumps Nationalismus hat tiefe Spuren hinterlassen. Die USA sind aus dem UN-Klimaabkommen ausgestiegen, sie haben ihren Einfluss im Nahen Osten minimiert und die Rivalität mit China in eine klare Konfrontation verwandelt. Das Welthandelssystem, allemal unter immensem Druck, steht vor dem Kollaps mit kaum berechenbaren Konsequenzen für die Prosperität und damit die gesellschaftliche Stabilität in weiten Teilen der Welt.

Nordkorea als einer der schlimmsten Regelbrecher auf der Erde wurde von Trump zunächst mit Kriegsdrohungen überzogen und dann in einer grotesken taktischen Wendung aus seiner Isolation befreit, ohne dass es dafür den naheliegenden Preis zahlen und sein illegales Nuklearprogramm aufgeben musste. Und eine der wichtigsten Errungenschaften der nach Regeln suchenden UN-Welt, das Nuklearabkommen mit Iran, wurde vom US-Präsidenten gekündigt, obwohl sich Iran an die verabredeten Forderungen gehalten hatte. Iran steht damit exemplarisch für die Kollision des neuen Amerika mit den alten Regeln, die es einst geschaffen hatte.

Die Differenzen in der Bewertung von Regeln sind so gravierend, dass nun die Europäische Union als eine der Vertragspartnerinnen eine ungewöhnliche, ja einmalige Konfrontation sucht: mit Washington. Die zu gründende Gesellschaft zum Schutz von Handelsgeschäften mit Iran ist eine bemerkenswerte Konstruktion, da sie ihren Zweck niemals erfüllen wird.

Europa verbündet sich symbolisch gegen Washington

Schutz vor dem Washingtoner Sanktionshammer wird sie nicht bieten, kein Großunternehmen wird sich ihr deshalb anvertrauen. Die Gesellschaft dient also lediglich dazu, den USA politischen Widerstand und Iran Wohlwollen zu signalisieren. Europa verbündet sich symbolisch gegen Washington - das hat es in den 73 Jahren seit Gründung der UN nicht so häufig gegeben.

Die alten Gefolgschaften zerbrechen. Die USA haben unter Trump den Weg der Isolation gewählt und die Instrumente der Vereinten Nationen beiseite gelegt. So sind Widersprüche entstanden, die sich nicht mehr so einfach auflösen lassen. Zum Beispiel: Das Sanktionsgebäude gegen Nordkorea hat maßgeblich Washington gebaut, aber China hat eine Etage gemietet. Nun muss Peking erleben, wie eine unberechenbare US-Politik die Stabilität in der eigenen Nachbarschaft in Frage stellt und wie ein Handelskrieg die Supermachtsrivalität in eine echte und gefährliche Konfrontation verwandelt. Wieso sollte Peking also Trump folgen und weiter die Miete zahlen?

In all seiner Außenpolitik wird Trump dem Amtsmotto gerecht: America first. Richtig ist damit aber auch, dass es einsam wird um dieses Amerika. Die Vereinten Nationen sind der perfekte Ort, um den Prozess der Selbstisolierung zu beobachten. Die USA haben das UN-System geschaffen, um davon zu profitieren. Nun, da Trump das System ignoriert und sogar zerschlägt, verweigert ihm selbst die EU die Gefolgschaft. So macht der Präsident sein eigenes Land, die Vereinigten Staaten, schwach.

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Quelle:
SZ vom 26.09.2018
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