Süddeutsche Zeitung

Vereinigte Staaten von Europa:Fragt uns endlich!

Lesezeit: 3 min

Eine politische Union Europas zeichnet sich als unausweichliche Folge der Schuldenkrise ab. Doch warum erklärt das den Bürgern niemand? Soll die EU weiter zusammenwachsen, geht das nicht ohne Beteiligung der Bevölkerung. Auch in Deutschland sind Volksabstimmungen überfällig.

Thorsten Denkler, Berlin

Was für eine Utopie! Die Vereinigten Staaten von Europa. Nicht Wenige sehen darin den einzigen Ausweg aus der europäischen Schulden- und Bankenkrise, die den alten Kontinent seit zweieinhalb Jahren beutelt. Wer sich mit der Krise beschäftigt, weiß, dass es kaum eine Alternative gibt. Zumindest die 17 Euro-Staaten sind auf Gedeih und Verderb voneinander abhängig.

Der wirtschaftliche Schaden, den schon der Austritt eines Landes aus dem Euro nach sich ziehen würde, ob nun erzwungen oder gewollt, könnte einen ungeheuren Flächenbrand auslösen.

Doch die Nationalstaatlichkeit stößt bei der Krisenbewältigung an ihre verfassungsmäßigen Grenzen. Vor allem das Grundgesetz des wirtschaftsmächtigsten EU-Landes hat kaum noch Spielraum, weitere Souveränitätsrechte an die europäische Ebene abzutreten. Diesen Spiegel hält gerade das Bundesverfassungsgericht der Politik vor.

Deutschland ist in der glücklichen Lage, nicht auf Hilfen angewiesen zu sein. Der Wirtschaft geht es gut, der dennoch hohe Schuldenberg wird mit der Schuldenbremse künftig zumindest nicht weiter wachsen.

Das Grundgesetz ist nicht unendlich dehnbar

Ausnahmen gibt es für Deutschland dennoch nicht: Wenn Bundeskanzlerin Angela Merkel davon spricht, dass Hilfen für die schuldengeschwächten Staaten nicht ohne Gegenleistung auskommen und mit tiefgreifenden Kontrollen bis hinein in die Haushaltsautonomie verknüpft werden müssen, dann gilt das auch für die Bundesrepublik.

Haushaltsrecht ist Königsrecht. Seit Gründung der Bundesrepublik Deutschland war dieser Satz in Stein gemeißelt. Heute nehmen ihn nur jene in den Mund, die noch hoffen, dass die Nation in der Euro-Krise nicht den Bach runtergeht.

Die Zustimmung des Bundestags zum Fiskalpakt macht den Stein porös, in den dieser Satz gehauen war. Noch mag das Grundgesetz dehnbar genug sein, um solche Eingriffsrechte zuzulassen. Doch die nächsten Schritte werden unvermeidlich auf eine Verfassungsänderung hinauslaufen.

Kanzlerin Merkel lässt dazu nichts von sich hören. Ihre Regierungserklärungen belegen, dass sie sich mit den technischen Details der Krise ungeheuer genau auskennt. Was sie nicht versteht ist, den Details einen Überbau zu geben. Sie reduziert die große Frage nach dem "Warum" auf eine Formel der Gefahr: Zerbricht der Euro, zerbricht Europa.

Dabei gäbe es einiges zu erklären. Die politische Union Europas verlangt viel. Nach dem Euro und dem gemeinsamen Binnenmarkt ist Europa dabei, eine gemeinsame Haushalts- und Fiskalpolitik zu etablieren. Über kurz oder lang wird Europa eine gemeinsame Verteidigungsarmee bereitstellen müssen, die von einem gestärkten Europäischen Parlament kontrolliert wird. Das wiederum bedeutet nahezu zwingend, dass Europa eine gemeinsme, demokratisch legitimierte Regierung braucht, mit einer einheitlichen Außenpolitik.

Merkel liefert dafür nur wenige Argumente. Eines der wichtigsten: In den vergangenen 50 Jahren ist zwar die Weltbevölkerung um gut vier Milliarden Menschen angewachsen. Doch der Anteil der Europäer an der Weltbevölkerung schrumpft gewaltig. Wenn Europa nicht irgendwann von anderen Regionen der Welt marginalisiert werden will, muss es geschlossen auftreten. Das Ende der europäischen Nationen ist da nur noch eine Frage der Zeit.

Stimmt alles.

Aber dies ist die technische, die im Grunde unumgängliche Seite dieser Krise. Ebenso unumgänglich aber ist die Frage: Was ist mit den Menschen, den Bürgern dieses "neuen" Europas?

Die Eile, mit der sich die Nationalstaaten von Gipfel zu Gipfel in der EU aufzulösen scheinen, überfordert die Menschen. Kaum einer versteht noch, was da vor sich geht. Viele glauben, da müssten nur ein paar Banken gerettet, ein paar Staaten entschuldet werden, dann wäre alles wieder gut. Doch die weitreichenden Folgen sind kaum abzusehen.

Der Weg ist längst eingeschlagen

Längst haben die Staatenlenker den Weg zur politischen Union eingeschlagen. Doch sie nehmen die Menschen nicht mit. Das Gefühl, einer Nation anzugehören, ist auch 55 Jahre nach Unterzeichnung der Römischen Verträge immer noch deutlich stärker ausgeprägt, als das diffuse Dasein als Europäer.

Es gibt keine gemeinsame europäische Öffentlichkeit, keine europäischen Fernsehsender und Zeitungen von Relevanz. Das ist auch kein Wunder. Die nationalen Identitäten haben sich durch Kriege, Könige und Katastrophen über Jahrhunderte ausgeprägt. Nicht einmal auf eine gemeinsame Sprache konnten sich die Europäer bisher einigen. Kein Bürger der Europäischen Union wird wollen, dass die eigene Muttersprache im europäischen Kontext nur noch als interessantes Idiom wahrgenommen wird.

Die Deutschen müssen abstimmen

Die Vereinigten Staaten von Europa sind vielleicht die zwingende Folge dieser Krise. Dieser Weg wird aber nicht weit führen, wenn die Bürger ihn nicht mitgehen wollen. Auf keinen Fall darf Europa deshalb weiter ohne Beteiligung der Bürger voranschreiten.

Das gilt vor allem für die Deutschen. Volksabstimmungen, selbst über den Euro, wurden ihnen bisher verwehrt. Da sind die Bürger anderer Staaten weiter. Die Politiker in Dänemark, Irland oder den Niederlanden waren schon mehrfach gezwungen, ihren Bürgern Europa zu erklären. Es hat sich gelohnt.

Darum ist die Debatte, ob es eine Volksabstimmung geben muss, wenn die europäische Integration den nächsten großen Schritt macht, ziemlich vermessen. Die Frage ist nicht ob, sondern wann endlich die Bürger auch in Deutschland gefragt werden. Sprechen sie sich dafür aus, den Weg zu einer politischen Union mitzugehen, sind die Vereinigten Staaten von Europa eine ganz wunderbare Vision.

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