Vereinbarkeit von Familie und Beruf:Sieben Tage Politik - das ist selbst Politikern zu viel

Kristina Schröder beim Besuch eines Kindergartens

Als Familienministerin hatte Kristina Schröder häufiger mit Kindern zu tun (wie hier beim Besuch eines Hamburger Kindergartens, 2013). Ihre eigene Familie kommt oft zu kurz.

(Foto: Getty Images)

Polit-Machos halten einen politikfreien Sonntag, wie ihn unter anderem Ex-Familienministerin Schröder fordert, für naiv und illusorisch. Ist er das?

Von Thomas Hahn, Hamburg, und Cornelius Pollmer, Dresden

Reiner Haseloff konnte noch gar nicht laufen, da war er schon ein treuer Kirchgänger. Seine Mutter habe ihn bereits als Baby sonntags immer mit zum Gottesdienst genommen, sagt der Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt. Seitdem geht Haseloff jeden Sonntag in die Kirche, weil er gläubiger Katholik ist, "und weil ich es in unserer hyperventilierten Welt für geboten halte, den Sonntag zu schützen". Schutz wovor? Zum Beispiel vor dem Zugriff der Politik. Der Sonntag, sagt der CDU-Politiker, werde von den Planern in der Partei "wie ein Steinbruch betrachtet, er ist Verfügungsmasse. Das finde ich höchst problematisch".

Zeit ist der höchste Preis, den Politiker zu zahlen haben für die Chance, die Geschicke ihres Landes mitzugestalten. Ständig passiert in der kleinen und großen Welt etwas, über das man reden muss, das Fragen aufwirft. Der Betrieb nimmt wenig Rücksicht darauf, dass auch Politiker ein Leben neben dem Beruf haben, was unter anderem zu dem grotesken Widerspruch führt, dass manche Politiker genau jenes Engagement für ihre Familien nicht aufbringen können, für das sie selbst die Rahmenbedingungen schaffen. Insofern ist es folgerichtig, dass die Bundestagsabgeordneten Franziska Brantner, Lisa Paus (beide Grüne), Susann Rüthrich, Dagmar Schmidt (beide SPD), Katja Kipping (Linke) und Kristina Schröder (CDU) eine Initiative gegründet haben, die den Sonntag so gut wie möglich schützen will vor den Begehrlichkeiten von außen.

Nur, funktioniert das? "Es gibt Jubiläen, Ehrenämter - solche Veranstaltungen wird man kaum verschieben können", sagt Reiner Haseloff. Aber er verstehe die Initiative ohnehin anders, nämlich so: "Da, wo Politik Termine selber steuern kann, sollte sie den Sonntag schützen." Sieben Tage Politik, immer, das sei "manchmal eine Zumutung, und es dient auch nicht der Effizienzsteigerung", sagt Haseloff. Die Sonntagsruhe würde auch einer gewissen Logik folgen: "Wir räumen dem Einzelhandel da zu Recht etwas ein, was wir uns nicht einräumen. Das ist nicht sehr plausibel."

Erwartungen aus dem Wahlkreis, Medienanfragen, unvorhergesehene Ereignisse

Der überparteiliche Vorstoß hat denn auch wenig mit Weinerlichkeit zu tun. Im Vergleich zum Einzelhandel oder anderen Branchen erfolgt der politische Sonntagsdienst eben nicht im Rahmen festgelegter Schichten, sondern vollendet oft eine Sieben-Tage-Arbeitswoche, weil es am Wochenende Sitzungen gibt, Erwartungen aus dem Wahlkreis, Medienanfragen, unvorhergesehene Ereignisse. Vor allem junge Eltern müssen sich unterordnen. "Politiker sind die einzige Berufsgruppe, die keine Elternzeit hat", sagt Kristina Schröder, 38, von 2009 bis 2013 Familienministerin im Bund, Mutter von zwei Kindern.

"Ein Bundesparteitag am 3. Advent muss nicht sein"

Sie selbst fand es nicht schön, dass sie im vergangenen Jahr schon acht Wochen nach der Geburt ihrer zweiten Tochter wieder voll einsteigen musste - um später auf der Liste der im Bundestag verpassten namentlichen Abstimmungen ohne Hinweis auf den Mutterschutz im oberen Drittel zu erscheinen. Auch dieser Sonntag bestärkt sie in dem Plan, beim Bundesparteitag der CDU am 14./15. Dezember den politikfreien Sonntag zu beantragen. Da sind nämlich die vorbereitenden Gremiensitzungen.

"Ein Bundesparteitag am 3. Advent muss nicht sein", sagt Kristina Schröder. Reiner Haseloff muss zuvor noch in eine höchst private Gremiensitzung: "Am Sonntag werde ich um 9 Uhr nach Karlsruhe fahren, der private Tag ist damit pfutsch. Meiner Frau muss ich das noch beibringen."

Polit-Machos halten den Vorstoß für naiv und illusorisch

Eine Selbstverpflichtung aller Mandatsträger und Parlamente ist der Kern der Initiative. Sie sieht auch familienfreundliche Veranstaltungen vor, flexible Arbeitszeiten, Rücksicht auf familiäre Belange von politischen Gegnern und Sitzungsteilnehmern. Kristina Schröder spürt viel Zustimmung, gerade in ihrer Partei. Gleichzeitig kennt sie jene Polit-Machos, die den Vorstoß illusorisch, naiv und von Weicheiern geleitet sehen. Sie selbst findet die Kampagne nötig im Dienste des Parlamentarismus: "Wir brauchen doch solche Leute, deren Lebenswirklichkeit noch etwas anderes bestimmt außer der Politik", sagt sie.

Helmut Kohl mit Sohn, 1974

Alles dient der Politik, auch das Wochenende: 1974 inszenierte Helmut Kohl Familienleben. Sein Sohn Walter erlebte ihn aber als Vater, der kaum da war.

(Foto: Sven Simon/Imago)

"Gut gemeint", nennt Ralf Stegner von der SPD die Initiative der Kolleginnen, "aber ich glaube, das wird nichts." Stegner ist stellvertretender Vorsitzender seiner Partei, außerdem Fraktionschef im Landtag von Schleswig-Holstein sowie Landes-Parteichef. Und er ist ein Mann des klaren Wortes, was ihn für die Medien interessant macht. Stegner will vorkommen, deshalb hält er sich so gut wie möglich für Anfragen verfügbar. Er leugnet nicht, dass das anstrengend ist. "Ich kenne niemanden, der sagt, ich finde das klasse", sagt er.

Aber wie könnte Freizeit für Politiker je ein verlässliches Gut werden? "Wir haben eine 24-Stunden-Gesellschaft", sagt Stegner. Nimmermüde Medien halten die Politiker auf Trab mit Sonntags-Talkshows, Online-Formaten, einem endlosen Wettbewerb um Zitate und Meinungen.

Für einen politikfreien Sonntag bräuchte es einen medienfreien Sonntag. Und den wird es nicht geben, solange die Erde sich dreht.

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