Süddeutsche Zeitung

Bundesregierung:Zum Vierten

Es ist geschafft: Die neue Regierung unter Angela Merkel ist im Amt. Doch bei der Kanzlerwahl fehlen ihr viele Stimmen aus Union und SPD. Und der Bundespräsident mahnt: Die große Koalition darf kein "Neuaufguss des Alten" sein.

Von Robert Roßmann, Berlin

Angela Merkel ist zum vierten Mal zur Bundeskanzlerin gewählt worden. Dies ist bisher nur Konrad Adenauer und Helmut Kohl gelungen. Allerdings erhielt die CDU-Vorsitzende bei der Abstimmung am Mittwoch ein überraschend knappes Ergebnis. Obwohl Merkel mit einer großen Koalition regiert, bekam sie lediglich neun Stimmen mehr als nötig. An der geheimen Wahl nahmen 692 der 709 Abgeordneten teil - für Merkel votierten 364, gegen sie 315. Es gab neun Enthaltungen, vier Stimmen waren ungültig. Damit verweigerten mehr als 30 der 399 Abgeordneten von Union und SPD Merkel die Gefolgschaft. Mit der Kanzlerwahl und der Ernennung der Minister ist fast sechs Monate nach der Bundestagswahl die längste Regierungsbildung der Nachkriegsgeschichte doch noch erfolgreich zu Ende gegangen.

FDP-Chef Christian Lindner sagte, die hohe Zahl von Abweichlern entlarve die enormen Fliehkräfte in der großen Koalition. In der Union wurde jedoch darauf verwiesen, dass Merkel in ihren ersten beiden großen Koalitionen bei der Kanzlerwahl noch mehr Stimmen aus dem eigenen Lager gefehlt haben, nämlich 42 und 51. Allerdings hatten die früheren großen Koalitionen im Bundestag eine deutlich größere Mehrheit als die jetzt gebildete, deswegen waren die Abstimmungsergebnisse am Ende nicht so knapp wie diesmal.

Merkel sagte am Abend in der ARD, sie sei "einfach froh für das Vertrauen" - es sei immerhin ihre vierte Wahl nach schwieriger Regierungsbildung gewesen. Es sei gut, dass jetzt "die Zeit der Ungewissheit und Verunsicherung vorbei ist", sagte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier bei der Ernennung der Minister in Schloss Bellevue. Und es sei gut, dass drei Parteien willens gewesen seien, Regierungsverantwortung zu übernehmen. Steinmeier ging aber auch darauf ein, dass zum ersten Mal auf eine große Koalition eine weitere folgt. Er sagte, eine "erneute Verständigung auf diese Konstellation verwirkt nicht den Anspruch, zunächst einmal ernst genommen zu werden - mit dem Ziel, Gutes für das Land zu bewirken". Allerdings sei die neue große Koalition tatsächlich "keine Selbstverständlichkeit". Um verlorenes Vertrauen zurückzugewinnen, werde "ein schlichter Neuaufguss des Alten nicht genügen". Die neue Regierung müsse sich deshalb "neu und anders" bewähren. Sie sei gut beraten, auch bei den alltäglichen Konflikten im Land "genau hinzuhören und hinzuschauen". Dabei gehe es etwa um "Gerechtigkeitsfragen, Flüchtlingspolitik und Migration, Integration und Heimat". Überall seien "offene und ehrliche Debatten" nötig. Die kommenden Jahre seien - auch wegen der vielen negativen außenpolitischen Entwicklungen - "Bewährungsjahre für die Demokratie".

Die neue Regierung ist dabei in keiner guten Ausgangslage. In der CDU haben die Debatten über die Nachfolge Merkels und den künftigen Kurs der Partei bereits begonnen. Und die SPD kam nur mit erheblichen Mühen in die neue Koalition, auf dem Weg hat sie einen Parteichef und viel Vertrauen der Basis in die Führung verloren. Außerdem wird bereits im Oktober sowohl in Bayern als auch in Hessen ein neuer Landtag gewählt. Dies dürfte zu einer Belastung für die Bundesregierung werden.

Die CSU wird ihr politisches Handeln in Berlin vor allem dem Ziel unterordnen, ihre absolute Mehrheit im Freistaat zu verteidigen. Und Hessen ist das einzige Bundesland, in dem die SPD auf absehbare Zeit wenigstens eine kleine Chance hat, der CDU eine Staatskanzlei abzunehmen. In der Bundesregierung wird sich deshalb im kommenden halben Jahr keiner der drei Koalitionspartner übermäßig kompromissbereit zeigen können.

Im Mai 2019 steht dann bereits die Europawahl an - sie gilt als eine kleine Bundestagswahl, vor der die Parteien naturgemäß eher ihre Unterschiede betonen werden. Dabei müsste es das Ziel der neuen großen Koalition sein, von Anfang an möglichst geschlossen und überzeugend aufzutreten - auch wegen der Landtagswahlen in gleich drei ostdeutschen Bundesländern im kommenden Jahr. In Thüringen, Brandenburg und Sachsen kommen CDU und SPD in den jüngsten Umfragen auch zusammen auf keine Mehrheit, die AfD rangiert dort zwischen 18 und 23 Prozent. Mit einer lediglich leidlich funktionierenden großen Koalition in Berlin dürfte sich an dieser Situation bis zu den Landtagswahlen nichts Grundsätzliches mehr ändern.

Merkel sagte dazu, ihre Regierung habe das Ziel, die Probleme derer zu lösen, die aus Protest AfD gewählt haben. Damit sei auch der Anspruch verbunden, "dass wir sie kleiner machen und möglichst aus dem Deutschen Bundestag wieder herausbekommen".

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.3905268
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 15.03.2018
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.