Süddeutsche Zeitung

Gewerkschaften:Kommt die Lohn-Preis-Spirale?

Manche Ökonomen und Arbeitgeber warnen, dass ein hoher Tarifabschluss einen tückischen Kreislauf in Gang setzen könnte.

Von Benedikt Peters

Als die Gewerkschaften im vergangenen Herbst ihre Lohnforderung für den öffentlichen Dienst bekannt gaben, dauerte es nicht lange, bis die Erinnerung an einen alten Arbeitgeberschreck in die Debatten zurückkehrte. Der Name dieses Arbeitgeberschrecks lautet Heinz Kluncker, er war in den 1970er-Jahren Chef der Verdi-Vorgängergewerkschaft ÖTV.

Kluncker setzte 1974 - als die Inflation infolge der Ölkrise ähnlich hoch war wie heute - nach einem harten Streik elf Prozent mehr Lohn für den öffentlichen Dienst durch. Er soll damit eine Lohn-Preis-Spirale in Gang gesetzt haben, worunter Ökonomen einen tückischen Kreislauf bezeichnen: Höhere Löhne führen demnach dazu, dass Unternehmen die Preise erhöhen, um die gestiegenen Lohnkosten auszugleichen, worauf die Arbeitnehmer wiederum mehr Geld verlangen und so fort. Die Inflation steigt und steigt, und am Ende verlieren alle.

Heizen die Gewerkschaften die Inflation an?

Ob Kluncker damals wirklich eine solche Spirale ausgelöst hat, ist unter Wirtschaftswissenschaftlern umstritten. Im Herbst aber ging die Diskussion von vorne los, weil die Forderung im öffentlichen Dienst - 10,5 Prozent, für manche Beschäftigte noch deutlich mehr - in ihrer Zweistelligkeit an den Kluncker-Abschluss erinnert. Heizen Verdi und der Beamtenbund also die Inflation an, wenn sie sich bei den entscheidenden Verhandlungen in diesen Tagen im öffentlichen Dienst durchsetzen?

Manche Arbeitgeber und Ökonomen warnen davor. Sie argumentieren, von dem Tarifabschluss für 2,5 Millionen Arbeitnehmer könne eine Strahlkraft für viele andere Branchen ausgehen, in denen die Beschäftigten dann Lohnsteigerungen deutlich oberhalb der Inflationsrate verlangen könnten. Besonders wahrscheinlich ist das Szenario allerdings nicht, aus mehreren Gründen.

So sind die 10,5 Prozent von Verdi, dem Beamtenbund und den anderen beteiligten Gewerkschaften noch kein Tarifabschluss, sondern nur eine Forderung. Das Ergebnis der Verhandlungen, die an diesem Montag in Potsdam fortgesetzt werden, wird deutlich darunter liegen. Wahrscheinlich ist außerdem, dass es nicht nur aus einer klassischen Lohnerhöhung bestehen wird, sondern flankiert werden wird von einer steuerfreien Inflationsausgleichsprämie von bis zu 3000 Euro. Die Bundesregierung hat diese Möglichkeit im vergangenen Jahr geschaffen, auch, weil eine solche Prämie Haushalte und Unternehmensbudgets nicht dauerhaft belastet - und so auch einer möglichen Lohn-Preis-Spirale entgegenwirkt.

Der Wettbewerb um gute Leute nimmt zu

Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, sieht in diesen Wochen ohnehin keine solche Dynamik am Werk. "Wenn", sagt Fratzscher, "muss man von einer Gewinn-Preis-Spirale sprechen." Neben den hohen Energiepreisen trieben derzeit Unternehmen die Inflation, die ihre Gewinnmargen zum Teil deutlich erhöht hätten. Zu diesem Schluss kommt auch eine Studie des Ifo-Instituts, die Autoren verweisen auf Beispiele aus der Landwirtschaft, dem Bau, dem Einzelhandel, dem Gastgewerbe und dem Verkehrssektor.

Unabhängig davon rechnet Fratzscher damit, dass in den kommenden Jahren die Löhne kräftig steigen werden. Das liege aber weniger am Druck der Gewerkschaften als an der Bevölkerungsentwicklung. "Die Babyboomer gehen in Rente, die Arbeitnehmer werden weniger." Die Arbeitgeber müssten deshalb um sie werben - und sie gut bezahlen.

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