Süddeutsche Zeitung

Syrien:Es muss eine Grenze geben

Lesezeit: 2 min

Der Einsatz von Giftgas als Waffe ist heimtückisch, gefährlich und aus gutem Grund völkerrechtlich geächtet. Wenn Syriens Diktator Baschar al-Assad tatsächlich mit Sarin gegen die Rebellen vorgegangen ist, darf der Westen nicht mehr tatenlos zusehen. Er muss eingreifen.

Ein Kommentar von Hubert Wetzel

Was weiß man über den Einsatz chemischer Waffen in Syrien? Nicht viel. Es gibt Hinweise, dass in einigen Orten Rebellenkämpfer mit Sarin in Berührung gekommen sind. Doch Hinweise sind keine Beweise. Zudem ist unklar, wie der Kampfstoff in die Luft gelangt sein könnte. Es kann ein Unfall gewesen sein beim Hantieren mit Gasgranaten. Oder ein Chemiewaffendepot wurde bei Kämpfen zerstört. Oder - auch das ist denkbar - die Fotos der Sarin-Opfer, die Boden- und Blutproben sind gefälscht, Teil einer makaberen PR-Kampagne der Rebellen, um den Westen zur Intervention zu zwingen.

Vielleicht ist die Wahrheit aber auch so einfach wie brutal: Die Armee von Syriens Diktator Baschar al-Assad hat tatsächlich Giftgas gegen die Rebellen eingesetzt.

Warum der Westen nicht länger zusehen darf

Wenn es so war - und zwar nur, wenn es so war -, dann können Europa und die USA dem Bürgerkrieg nicht weiter aus sicherer Entfernung zusehen. All die Debatten, ob man nun den Rebellen nur Splitterschutzwesten oder auch Panzerfäuste liefern dürfe, hätten sich erledigt, wenn Assads Truppen mit Sarin schießen. Sollte sich der Einsatz von Giftgas belegen lassen, muss der Westen militärisch in Syrien eingreifen.

Warum? Mehr als 70.000 Menschen sind in Syrien gestorben. Macht es einen Unterschied, ob sie von Kugeln getötet, von Granaten zerrissen, von Bomben zermalmt wurden? Oder ob sie an Atemlähmung starben, ihre Nervenzellen vergiftet durch die tödliche chemische Verbindung Methylfluorphosphonsäureisopropylester?

Giftgas tötet in Massen, Soldaten wie Zivilisten

Für die Toten macht es keinen Unterschied. Für die Welt schon. Giftgas ist eine der heimtückischsten Waffen, die je ersonnen wurden. Es tötet unterschiedslos Soldaten und Zivilisten. Es tötet in Massen. Und es tötet in weitem Umkreis. Ein paar Granaten können Divisionen vernichten und ganze Ortschaften in Friedhöfe verwandeln.

Es gibt Gründe - militärische, aber eben auch ethische -, warum der Einsatz von giftigen Gasen als Waffe bereits 1899 völkerrechtlich geächtet wurde. Das Ziel in einer Schlacht mag sein, möglichst viele Gegner niederzumetzeln. Doch es muss selbst im blutigen Irrsinn eines Krieges eine Grenze geben, die erlaubte Mittel von unerlaubten trennt und dadurch den letzten Rest von Zivilität im Grauen bewahrt. Sollte Assad tatsächlich Giftgas eingesetzt haben, hätte er diese Grenze überschritten.

Der Westen muss jetzt vor allem wissen, was in Syrien wirklich passiert ist. Der erste Schritt sollte daher die Forderung an Assad sein, UN-Inspektoren ins Land zu lassen, um die Hinweise auf Giftgas zu überprüfen. Verweigert der Diktator dies oder bestätigt sich der Gaseinsatz, müssen Europäer und Amerikaner bereit sein, ihn zu zwingen oder zu bestrafen - auch mit militärischen Mitteln. Das bedeutet keinen Einmarsch in Syrien. Aber es bedeutet mindestens: Waffenlieferungen an einzelne Rebellengruppen und eine Salve Marschflugkörper auf das Hauptquartier von Baschar al-Assads Armee.

Der Westen kann den Bürgerkrieg in Syrien nicht beenden. Aber er kann versuchen zu verhindern, dass Assad seine Haut mit Gasangriffen rettet.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.1659767
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 27.04.2013
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.