Süddeutsche Zeitung

Verbrechen des rechtsextremen Terror-Trios:Brauner Faden im Schutt

1400 Fundstücke aus dem Zwickauer Haus geben Einblick in die bizarre Welt der Terror-Zelle. Die Ermittler hoffen, mindestens 26 Fälle aufklären zu können. Vieles bleibt rätselhaft: Belege über die gemieteten Tatfahrzeuge hefteten die Neonazis sorgfältig ab und in ihrer Abwesenheit kümmerten sich Nachbarn um die Katzen.

Hans Leyendecker

Geldbanderolen, die aus Banküberfällen in Sachsen stammen, das handgeschriebene Drehbuch der zynischen Paulchen-Panther-DVD, mehr als 30 Dokumente über die vielen Wohnmobile, mit denen das braune Killerkommando sieben Jahre lang durch Deutschland reiste - diese Fundstücke gehören zu einer Art Archäologie des rechten Terrors. Spezialisten der Polizei haben sie aus den Schuttbergen des zum Teil verkohlten Hauses Frühlingsstraße 26 in Zwickau geborgen.

Für die Ermittler sind es Asservate, die eines Tages als Beweismittel vor Gericht verwendet werden können. Die Liste umfasst mittlerweile 1400 Gegenstände. Sie erzählen einen Teil der Geschichte der Zwickauer Terrorzelle.

Jahrelang hatten Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe im ersten Stock des Hauses gewohnt. Bevor sich die beiden Männer am 4. November in einem Camper umbrachten, soll einer von ihnen Zschäpe angerufen haben. Ermittler vermuten, dass Zschäpe aufgefordert wurde, sie solle sofort die Wohnung anzünden, um Spuren zu vernichten. Möglicherweise war schon verabredet, was am Ende zu geschehen hatte.

Die 36-Jährige brachte dann die beiden Katzen rasch zu den Nachbarn, eilte zurück in die Wohnung, verteilte Brandbeschleuniger und legte Feuer. Erst kam es zu einer Verpuffung, dann zu einem Großbrand, der von der Feuerwehr gelöscht wurde.

Wühlen in Schlamm, Schutt und Sand

Feuer und Wasser, diese Kombination ist normalerweise ein Spurenvernichtungsprogramm. In mühevoller Kleinarbeit haben Spezialisten der Polizei - sie trugen Schutzanzüge und Latex-Handschuhe, um keine Spuren zu zerstören - in dem Gemisch von Schlamm, Schutt und Sand nach Beweismitteln gesucht. Glücklicherweise hat der Brand das Haus nicht vollständig zerstört, sondern wie ein launischer Dämon hier ein Dokument, dort einen Karton mit undefinierbarem Inhalt vernichtet.

Es gibt einen Haufen verbrannter Papiere, der mit anderen Materialien zu einem trostlosen Klumpen verschmolzen ist. Viele der Urkunden und Dokumente haben gelitten, doch die allermeisten waren zu retten. Auch konnten Kleidung und Schuhe, total verschmutzt und zum Teil angesengt, aus den Trümmern geborgen werden.

All diese Asservate lagern jetzt gut bewacht in Garagen der Zwickauer Polizei. Wer die Garagen betritt, muss erneut Schutzkleidung tragen. Die Fülle der sichergestellten Beweismittel macht sofort klar, warum Zschäpe nach dem Tod von Böhnhardt und Mundlos das Material nicht einfach in einen Koffer gepackt hat, um diesen verschwinden zu lassen: Sie hätte zum Abtransport eine Spedition rufen müssen.

Jetzt sollen die Asservate bei der juristischen Aufklärung der zehn Morde, zwei Sprengstoffanschläge und mindestens 14 Banküberfälle helfen. Welche Kleidungsstücke könnten die beiden Männer bei welchen Taten getragen haben? Wer hat handschriftlich das Drehbuch für die Morde verfasst? Es mangelt noch an Schriftvergleichen.

Die Ermittlungseinheit "Trio", der mehr als 400 Beamte angehören, hat am 11. November mit ihrer Spurensuche begonnen und kommt gut voran. Sie geht jeder Spur aus alten Ermittlungen nach, sucht aber auch nach neuen Spuren. So hatte es 1999 und 2000 Gerüchte gegeben, die drei mit Haftbefehl Gesuchten seien in Südafrika untergetaucht. Die Nachforschungen hatten damals zu dem Ergebnis geführt, dass keiner der drei Namen auf Listen von Fluggesellschaften oder Einwanderungsbehörden oder in Visabüros aufgetaucht war. Jetzt wird geprüft, ob sie unter Verwendung von Decknamen gereist sind. Wahrscheinlich ist das nicht; sehr wahrscheinlich war das Trio die allermeiste Zeit im ganz nahen Osten.

Gleichzeitig mühen sich die Ermittler, das Beziehungsgeflecht der Mörder aus jenen Tagen zu enttarnen und das Unterstützerfeld zu erkunden. Wie viele Mitglieder hatte die Terrorvereinigung "Nationalsozialistischer Untergrund"? Drei, ein Dutzend oder noch mehr?

Das Bundesamt für Verfassungsschutz gab in diesen Tagen eine aus einem knallrechten Internet-Forum stammende Information für Ermittlungen an das Bundeskriminalamt weiter. Ein Neonazi hatte behauptet, eine Handvoll seiner Kameraden habe die Mitglieder der NSU gekannt. Die NSU habe angeblich zwölf Mitglieder gehabt. Zschäpe habe bis 2002 in Dresden gelebt und dort in einem Kaufhaus gearbeitet. Böhnhardt sei als Paketfahrer unterwegs gewesen. Stammt die Information von einem Kenner der Verhältnisse oder von einem Spinner? An Verschwörungstheorien mangelt es in der Szene nicht.

Mysteriöse Trophäensammlung

Am Dienstag reisten neun Ermittler aus mehreren Bundesländern zur Bundesanwaltschaft nach Karlsruhe, die jetzt bei der Aufarbeitung der Mordserie die Federführung hat. Viele Sonderkommissionen hatten sich all die Jahre Mühe gegeben, ihre Fälle aufzuklären, aber den braunen Faden, der durch das Labyrinth führte, haben sie nicht gesehen. Jetzt sollen die Fachleute mit den neuen Erkenntnissen die alten Spuren sichten. Arbeitsgrundlage ist die Erkenntnis, dass eine terroristische Vereinigung aus Fremdenhass gemordet hat. Es fällt immer noch manchem der Ermittler schwer, das zu glauben. Mancher hing allzu lange an seiner Theorie, es müsse sich um Verbrechen im Milieu der organisierten Kriminalität handeln.

Es ist aber auch ein rätselhafter Fall: Die Killer sammelten auf ihren kriminellen Touren Trophäen, die sie den Opfern abnahmen und in ihrer Wohnung aufbewahrten. Warum heftet jemand die Mietverträge der Tatfahrzeuge ab? Und: Warum wirft er nicht wenigstens die Geldbanderolen weg?

Es war eine rätselhafte Welt. Wenn das Trio unterwegs war, schauten Tiersitter nach den beiden Katzen im Haus. Die Fremden durften nur einen Teil der Wohnung betreten. Es gab einen Bereich, der mit einer Garderobe versperrt war. Die Ermittler vermuten, dass dort Devotionalien des Terrors und Waffen aufbewahrt wurden. 18 Revolver und Pistolen sowie eine Maschinenpistole und eine Handgranate stellten die Ermittler in der Wohnung und im Wohnmobil sicher.

Wie hat das Trio all die Jahre gelebt, mit wem waren die drei wann zusammen? Viele dieser Fragen sind noch unbeantwortet. Die in Köln inhaftierte Zschäpe wird zunächst keine Aussage machen. Aber sie hat einmal erklärt, sie und die beiden Männer seien eine "richtige Familie" gewesen. Manchmal machten die drei an der Ostsee Urlaub. Sie waren dann mit anderen Familien zusammen. Zeugen sagen, das Trio aus Zwickau sei durchaus nett und freundlich gewesen.

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Quelle:
SZ vom 30.11.2011/hü/mati
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