Verbotsdebatte:Burka verbieten - geht das überhaupt?

Burka-Ausstellung in Wiesbaden

Wie fühlt man sich mit einer Burka? Besucher einer Ausstellung im Kunstverein Wiesbaden konnten das im Jahr 2012 ausprobieren.

(Foto: Boris Roessler/dpa)
  • Ein generelles Burkaverbot wäre vor dem Bundesverfassungsgericht nicht zu halten.
  • Der Wunsch, sich zu verhüllen, ist durch das Recht auf freie Religionsausübung gedeckt.
  • Kommunikations- und Sicherheitsinteressen könnten die freiwillige Vollverschleierung jedoch aufheben.

Von Wolfgang Janisch, Karlsruhe

Nicht immer waren deutsche Innenminister verfassungsrechtlich so weitsichtig wie vergangene Woche Thomas de Maizière. "Man kann nicht alles verbieten, was man ablehnt", so begründete er seinen Verzicht auf ein Burkaverbot, über das in CDU und CSU gerade laut nachgedacht wird. Viel spricht dafür, dass die Einschätzung des Bundesinnenministers zutreffend ist: Ein generelles Burkaverbot, das sogar das verhüllte Spazierengehen im Park untersagt, wäre vor dem Bundesverfassungsgericht nicht zu halten.

Sowohl die Burka mit dem vergitterten Sichtfenster als auch der Gesichtsschleier Niqab, der zumindest die Augen frei lässt, dürften von der Religionsfreiheit geschützt sein. Zwar ist es innerhalb des Islam umstritten, wie weit eigentlich das Bedeckungsgebot reicht; die Burka kommt in Afghanistan und Pakistan vor, ist aber in der muslimischen Welt nicht sehr verbreitet.

Entscheidend ist jedoch, ob die Betroffenen die Verhüllung als religiöse Pflicht betrachten - und ob es dafür eine plausible Grundlage in bestimmten Ausrichtungen der Religion gibt. "Dem Staat ist es verwehrt, derartige Glaubensüberzeugungen seiner Bürger zu bewerten oder gar als richtig oder falsch zu bezeichnen", entschied das Bundesverfassungsgericht 2015 im Kopftuch-Beschluss.

Das Grundgesetz deckt die Verschleierung aus religiösen Gründen

Damit hat, wer aus religiösen Gründen sein Gesicht verhüllen will, ein starkes Grundrecht auf seiner Seite. Anders ausgedrückt: Der Staat muss eine solide Rechtfertigung liefern, wenn er das Recht einschränken will. Weil im liberalen Rechtsstaat eben nicht die Ausübung der Freiheit (auch der Freiheit, sich nach Belieben zu kleiden) rechtfertigungsbedürftig ist, sondern ihre Einschränkung. Doch triftige Verbotsgründe sind nicht in Sicht.

Nun fragen die Befürworter eines Verbots: Was heißt hier überhaupt Freiheit? Die Burka sei doch Ausdruck der Unterdrückung von Frauen durch eine extrem patriarchalisch geprägte Form des Islam. Also das Gegenteil von Freiheit. Das ist in der Tat richtig - genau deshalb ist die Diskussion so kompliziert: Wer gegen ein Verbot eintritt, muss als Disclaimer anfügen, dass er selbstredend auch gegen die Burka und lediglich für den liberalen Staat sei. Als Freiheitssymbol taugt der Ganzkörperschleier nun wirklich nicht.

Außerdem ist die Frage, ob die Frauen sich freiwillig unters Tuch begeben, komplizierter zu beantworten als etwa beim Kopftuch. Das Kopftuch ist ambivalent: Es kann für ein rückwärtiges Frauenbild stehen - aber auch als selbstbewusstes Identitätssymbol junger Musliminnen verstanden werden. Der Burka fehlt diese Zweideutigkeit; auf den Trägerinnen lastet mindestens der Zwang der Tradition, häufig auch der des Ehemanns.

Sicherheitsaspekte könnten ein Burka-Verbot rechtfertigen

Ein Verbot lässt sich damit gleichwohl kaum begründen. Unsere Rechtsordnung beruht auf der Annahme, dass Bürger selbstbestimmt handeln, solange nicht das Gegenteil bewiesen ist. Selbstbestimmtes Handeln unterstellt man, nebenbei gesagt, auch jungen Mädchen, die sich einem Modediktat der größtmöglichen Nichtverhüllung unterwerfen - und damit oft genug einem ebenfalls fragwürdigen Frauenbild.

Doch was ist mit der Kommunikation im öffentlichen Raum? Mit diesem Argument hat vor zwei Jahren der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg das französische Burkaverbot akzeptiert: Der Gesichtsschleier könne das Zusammenleben beeinträchtigen, weil das offene Gesicht eine wichtige Rolle für die soziale Interaktion spiele. Das war freilich eine - gelinde gesagt - ziemlich innovative Erfindung des Gerichtshofs, die eher ein vages gesellschaftliches Ziel denn ein klar definiertes Recht umschreibt.

Dass sich damit vor dem Bundesverfassungsgericht ein Burkaverbot retten ließe, ist zweifelhaft. In einer abweichenden Meinung hatten die deutsche Richterin Angelika Nußberger und ihre schwedische Kollegin mit scharfen Worten den illiberalen Kern des Straßburger Urteils offengelegt. Erstens gehöre zur Freiheit auch das Recht, auf öffentlichen Plätzen nicht zu kommunizieren (sonst müsste man den wandelnden Musikhörern die Kopfhörer von den Ohren nehmen). Also das "Recht, ein Außenseiter zu sein". Zweitens habe Frankreich - statt Toleranz zu fördern - den Konflikt zulasten der Minderheit zu lösen versucht.

Wenn das Tuch die Kommunikation erschwert, kann es untersagt werden

Allerdings lässt sich das Urteil für ganz konkrete Verbote nutzbar machen - überall dort, wo es auf Kommunikation ankommt. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hatte vor Jahren einer muslimischen Schülerin den Schleier untersagt, weil damit die Kommunikation behindert sei.

Ähnlich hatte die Uni Gießen gegenüber einer Lehramtsstudentin argumentiert. Vergleichbares ist im öffentlichen Dienst oder auch im privaten Arbeitsleben denkbar: Wenn das Tuch vor dem Gesicht die notwendige Kommunikation erschwert, dann kann es sehr viel leichter verboten werden als im öffentlichen Raum. "Was im öffentlichen Dienst die Funktion beeinträchtigt, kann untersagt werden", sagt die Rechtsprofessorin Ute Mager.

Der wissenschaftliche Dienst des Bundestags, der ein generelles Verbot schon 2010 als verfassungswidrig bezeichnete, brachte zudem eine Verletzung des politischen Mäßigungsgebots für Beamte ins Spiel - falls die Burka als Ausdruck einer politisch-fundamentalistischen Gesinnung zu verstehen sei. Auch Sicherheitsaspekte können Verbote rechtfertigen. Die Autofahrerin mit Gitterburka wäre ein Verkehrsrisiko. Aber auch Banken könnten ihre Sicherheit durch vermummte Kunden gefährdet sehen, ebenso Flughäfen.

Um es in der Sprache des Fußballs auszudrücken: Bund und Länder könnten mit klar abgegrenzten Verboten die Räume eng machen für Burka und Niqab. Das heißt, falls es dafür Handlungsbedarf gibt. Bisher gibt es nämlich keine seriösen Zahlen zu vollverschleierten Frauen in Deutschland. Die Schätzungen schwanken zwischen mehreren Dutzend und einigen Hundert.

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