Würde die Geschichte von Vera Lengsfeld funktionieren wie ein klassischer Roman, hätte sie im Jahr 1989 geendet. Mit dem Mauerfall hätte alles einen Sinn ergeben, was die ehemalige DDR-Bürgerrechtlerin und der von ihr mitgegründete "Friedenskreis Pankow" aushalten mussten. Die gegen sie gerichteten "Zersetzungsmaßnahmen", von denen in den Operationsberichten der Staatssicherheit die Rede ist, die Verhöre, die Psychospielchen, die Hausdurchsuchungen, all das wäre mit einem Schlag als notwendiger Teil eines großen Plans erschienen, der letztendlich wider alle Hoffnung aufgegangen ist, so vollständig, dass man danach eigentlich nur noch den Buchdeckel drauflegen kann. Aber das Leben geht weiter.
Dreißig Jahre später, sie ist inzwischen 67 Jahre alt, wohnt Vera Lengsfeld noch immer in Berlin-Pankow. Sie hat wenig Zeit, viele Termine, sie steht unter Druck, sagt sie. Jüngst wurden Aufkleber rings um ihr Mietshaus angebracht. "Lengsfeld, halt's Maul! Kein Podium für rechte Hetze!", steht darauf, unterschrieben von der Antifa. An der Fassade des Jugendklubs gegenüber ihrer Wohnung hängt eine "Refugees Welcome"-Fahne. Jürgen Trittin ist einer ihrer Nachbarn. Pankow wählt grün-rot. Und Vera Lengsfeld lebt in der Dissidenz. Mal wieder.
Im vergangenen Jahr hat sie die "Gemeinsame Erklärung 2018" initiiert. Darin heißt es: "Mit wachsendem Befremden beobachten wir, wie Deutschland durch die illegale Masseneinwanderung beschädigt wird. Wir solidarisieren uns mit denjenigen, die friedlich dafür demonstrieren, dass die rechtsstaatliche Ordnung an den Grenzen unseres Landes wiederhergestellt wird."
Etwa 65 000 Menschen unterschrieben die Petition zur "Gemeinsamen Erklärung 2018", Lengsfeld durfte daraufhin vor dem Petitionsausschuss des Bundestages sprechen. Sie erschien in einem schwarzen Kleid und mit finsterer Miene, als wohne sie der Beerdigung der Demokratie bei. Mit erhobenem Zeigefinger betonte sie, es gehe ihr um die "illegale!" Migration und die "friedlichen!" Proteste dagegen.
Nach der Wiedervereinigung saß sie selbst im Bundestag, zunächst für die Grünen, dann, als diese sich aus ihrer Sicht zu sehr an die PDS anbiederten, für die CDU. Aber auch die wurde ihr zunehmend zu links. Heute ist sie zwar noch einfaches CDU-Mitglied, Angela Merkels Politik aber findet sie inzwischen "linksradikal".
Vor der Bundestagswahl 2009 zeigte Lengsfelds eigenes Wahl-Plakat noch eine Fotomontage von ihr und Bundeskanzlerin Angela Merkel.
(Foto: Alina Novopashina/dpa)Lengsfeld trägt schon wieder ein schwarzes Kleid, diesmal ein Sommerkleid, als sie an einem heißen Junitag die Tür zu ihrer Wohnung öffnet. Über ihrem Wohnzimmertisch hängt ein aus schwarzen Kreisen und Strichen bestehendes Ölgemälde.
Ob sie sich heute frei fühlt? "Na klar, ich mache ja, was ich will." Auch von der Antifa lasse sie sich in ihrer Freiheit nicht einschränken. Trotzdem hat sie Anzeige erstattet wegen der "Halt's Maul!"-Aufkleber. "Und dann schreibt mir der Staatsanwalt: 'Wer, wie Sie, die Antifa kritisiert, der muss das aushalten.' Ja, hallo Rechtsstaat? Dabei ist das Schmähkritik, die eigentlich verboten ist!" Nur wenige Sätze hat es gedauert, um von der Freiheit in Richtung unterdrückte Freiheit abzubiegen.
Lengsfeld schreibt heute viel, für rechtskonservative Medien wie Junge Freiheit oder Achse des Guten. Eine Ausgabe von Tichys Einblick, ein Magazin aus einem ähnlichen politischen Spektrum, liegt auf ihrem Couchtisch. In ihren Artikeln warnt sie vor einer linken "Gesinnungsdiktatur", vor der Schikane "Andersdenkender", vor einer Rückkehr der "DDR 2.0". "Kader", "Herrschaft", "Untertan" - wenn sie redet, mehr noch, wenn sie schreibt, hantiert Lengsfeld ganz selbstverständlich mit panzerschweren Begriffen. Rhetorisch ist bei ihr immer Krieg. Kantig und klobig liegt die politische Wirklichkeit da, entkleidet von vermeintlicher Schönrednerei, "politischer Korrektheit", oder eben: "Propaganda", in ihren Worten.