Venezuelas Präsident Hugo Chávez:Comandante verzweifelt gesucht

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"Wer das Vaterland liebt, soll mit mir kommen." Chávez-Graffiti auf einer Mauer in der venezolanischen Hauptstadt Caracas.  (Foto: REUTERS)

Gibt es einen Chavismus ohne Chávez? Während der schwerkranke Präsident auf Kuba abgeschirmt wird, versuchen seine Gefolgsleute in Venezuela, die Nachfolge zu regeln - ohne Volk und ohne Opposition.

Von Peter Burghardt

Tröpfchenweise dringen die Nachrichten aus Havanna, dem Krankenlager von Venezuelas Präsidenten Hugo Chávez. Sie klingen dramatisch und verwirrend. Am 11. Dezember war Chávez in Kuba zum vierten Mal wegen seines mysteriösen Krebsleidens an der Leiste operiert worden, gut zwei Monate nach seinem vierten Wahlsieg.

Zum Jahresende berichtete Nicolás Maduro, Vizepräsident und Außenminister, von "neuen Komplikationen". Sein Zustand sei "heikel". Dann behauptete Maduro, der Staatschef sei sich "seiner Schlacht bewusst". Er werde jedoch "eher früher als später" heimkehren. Nun sprach Informationsminister Ernesto Villegas von "einer schweren Lungeninfektion" und Atemproblemen. Nicht nur Venezuela fragt sich, ob bald die Meldung von seinem Tod folgt oder noch ein Wunder geschieht.

Umstrittener Präsident
:Star des linken Lateinamerika

Der Kampf des "Comandante" gegen den Krebs ist vorbei: Mit 58 Jahren ist Venezuelas Präsident gestorben. Noch im Februar hatte die Regierung aktuelle Fotos veröffentlicht - er selbst meldete sich per Twitter zu Wort. Chávez war mit seinem "Sozialismus des 21. Jahrhunderts" zum Star des linken Lateinamerikas geworden. Etappen seines Lebens in Bildern.

Am 10. Dezember war der Patient aus Caracas auf die Insel geflogen. Im Juni 2011 hatte er seinen rätselhaften Tumor öffentlich gemacht, seitdem wurde Chávez mehr als 200 Tage lang von kubanischen Ärzten behandelt. Er vertraut den Medizinern seiner Verbündeten Fidel und Raúl Castro mehr als den eigenen. In Venezuela gewann er zwischendurch im Herbst mit 55 Prozent der Stimmen die Wahl und erklärte sich für geheilt. Bald verschwand er trotzdem wieder nach Kuba und regierte abermals von dort.

Es klang wie ein Abschied

Vor vier Wochen kehrte er nur kurz zurück, um die Zukunft zu klären. Er bat, man möge seinen Stellvertreter Maduro zum Nachfolger wählen, falls er seine nächste Amtszeit am 10. Januar nicht antreten könne. "Ich bitte euch das von ganzem Herzen", es klang wie ein Abschied. Jetzt warten 29 Millionen Landsleute und ganz Lateinamerika darauf, was als nächstes aus Kuba zu hören ist und wie die Erbfolge geregelt wird.

Havanna ist derzeit die inoffizielle Hauptstadt Venezuelas, der Hort einer geheimen Planung. Die Diskretion erinnert an das Darmleiden von Fidel Castro, 86, in dessen Folge der Comandante 2006 seine Ämter seinem 81-jährigen Bruder Raúl übertrug. Castro I. jedoch hat bis heute überlebt. Chávez dagegen liegt möglicherweise im Sterben, und er will seine Posten nicht an seinen ebenfalls einflussreichen Bruder Adán übergeben. Sondern an den ehemaligen Busfahrer und Gewerkschafter Maduro, 50, seinen Chefdiplomaten.

Zuletzt pilgerten außer Chávez' Angehörigen auch Maduro und andere venezolanische Politgrößen nach Kuba. Es war wie eine verborgene Klausur der Spitze der Sozialistischen Partei PSVU am Krankenbett. Es geht um einen Chavismus ohne Chávez. Der Übergang beginnt.

Am kommenden Donnerstag sollte der Caudillo vor dem Parlament oder notfalls dem Obersten Gerichtshof vereidigt werden, so sieht es die Verfassung vor. Von einer Verschiebung des Termins ist die Rede. Andernfalls müsste fürs erste Parlamentspräsident Diosdado Cabello übernehmen und innerhalb von 30 Tagen Wahlen ausrufen. Das schreibt die "Verfassung der Bolivarischen Republik Venezuela" vor, die Chávez 1999 mit einem Referendum im Namen des Befreiers Simón Bolívar durchgebracht hatte. Der vormalige Offizier Cabello allerdings gilt als machthungriger Rivale Maduros, Chávez' Statthalter mit dem buschigen Schnauzbart.

Auf Kuba sollen sich die beiden am Donnerstag ihrer Treue versichert haben. "Wir haben vor unserem Kommandanten Chávez geschworen, dass wir gemeinsam mit unserem Volk vereint sein werden", sagte Maduro, der seit Wochen Chávez' Stimme ist. Bei dem Gipfeltreffen dabei war unter anderem auch der ebenfalls mächtige Erdölminister Rafael Ramírez, der dritte Mann im Spitzentrio nach Chávez. Ramírez leitet den staatlichen Ölkonzern PdVSA und verwaltet ungefähr 150 Milliarden Dollar, die einem der größten Erdölproduzenten der Welt jedes Jahr in die Kasse fließen. Mit dem Vermögen werden die populären Sozialprogramme in den Armenvierteln sowie die internationalen Allianzen mit Verbündeten von Kuba bis Weißrussland und Iran gepflegt. Auch für einen weiteren Wahlkampf würde die Regierung viel Geld brauchen.

"Welche Art von Pakt wurde in Havanna geschlossen?"

Die Opposition verfolgt das Manöver mit einer Mischung aus Pietät und Ärger. "Es reicht mit den Geheimnissen, Venezuela ist keine Kolonie Kubas", wetterte Antonio Ledesma, der konservative Bürgermeister von Caracas. "Welche Art von Pakt wurde in Havanna geschlossen?" Er verlangt, eine oppositionelle Kommission solle nach Kuba aufbrechen und sich dort nach dem Zustand des Präsidenten erkundigen. Der voraussichtliche Oppositionskandidat Henrique Capriles hält sich dagegen zurück und fordert, es dürfe keine Konfrontation geben. Auch verliere Chávez nicht automatisch seinen Posten, wenn er am 10. Januar nicht antrete. Andererseits dürfe seine Abwesenheit nicht von Dauer sein.

Mit solcher Vorsicht versucht der jungdynamische Capriles, sich so wenig Feinde wie möglich zu machen. Bei den vergangenen Wahlen hatte er die zuvor zerstrittenen Chávez-Gegner angeführt und stattliche 45 Prozent bekommen. Bei einer Neuwahl rechnet sich Capriles noch bessere Chancen aus, aber Maduro dürfte trotzdem Vorteile haben.

Gewöhnliche Venezolaner erleben das Drama je nach Gesinnung ängstlich bis genervt. Sie sind Spannung und Schweigen gewohnt, dabei war ihr umstrittener Volkstribun früher redselig. Zu Silvester rief die Regierung zu Gebeten statt zu Böllern und Konzerten auf. Lateinamerikanische Partner von Hugo Chávez hoffen und bangen, vor allem für Kuba und Nicaragua geht es um einen Freund und Mäzen. Argentiniens Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner will nach Havanna reisen. Der uruguayische Kollege José Mujica bleibt daheim, "es gibt keine Möglichkeit, ihn zu sehen". Boliviens Präsident Evo Morales war vor Weihnachten bei Chávez. Er sagt, die Lage sei "sehr beunruhigend".

© SZ vom 05.01.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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