Süddeutsche Zeitung

Venezuela:Wer Maduro toleriert, der unterstützt eine Diktatur

Das Regime herrscht über einen Staat, in dem keine Gesetze mehr gelten. Die Elite plündert und hinterschlägt, während das Volk in einen Bürgerkrieg getrieben wird. Zeit für einen klaren Schnitt.

Kommentar von Boris Herrmann, Rio de Janeiro

Allmählich wird es einsam um Venezuelas herrschende Klasse. Regierungen aus aller Welt verurteilen die Machenschaften des Regimes von Nicolás Maduro. Die USA haben direkte Sanktionen gegen den Präsidenten verhängt, der südamerikanische Wirtschaftsblock Mercosur schloss das Land dauerhaft aus, und selbst der Vatikan, der viel zu lange geschwiegen hat, protestiert neuerdings.

Mit der Einsetzung eines linientreuen Parallelparlaments und der endgültigen Entmachtung einer ohnehin geschwächten Legislative hat Maduro einen schweren Fehler begangen. Große Teile der Welt scheinen endlich verstanden zu haben: Wer diese venezolanische Regierung toleriert, der unterstützt eine Diktatur.

Umso bizarrer wirken jene Solidaritätsbekundungen, die immer noch von vermeintlichen Brüdern im Geiste kommen. Dazu gehört Boliviens sozialistischer Präsident Evo Morales, der zur Wahl (besser gesagt: zur Scheinwahl) der verfassungsgebenden Versammlung revolutionäre Glückwünsche schickte. Dazu gehört aber auch Die Linke in Deutschland, die auf ihrem jüngsten Parteitag ein Papier mit dem Titel "Solidarität mit Venezuela" verabschiedete. Darin heißt es: "Die Linke steht an der Seite aller linken Kräfte in Lateinamerika, einschließlich der sozialistischen Regierung in Venezuela." Solidarität mit Venezuela heißt hier unzweideutig Solidarität mit Maduro.

Die Begriffe links und sozialistisch haben in Venezuela ihre Bedeutung verloren. Venezuela ist schon lange nicht mehr links, wenn damit eine Politik gemeint ist, die sich in erster Linie um wirtschaftlich oder gesellschaftlich Benachteiligte kümmert, die den Auswüchsen des Kapitalismus entgegentritt, die eine gerechte Gesellschaft zum Ziel hat.

Maduro und seine angeblich sozialistischen Komplizen haben den erdölreichsten Staat der Welt nicht nur konsequent heruntergewirtschaftet, sondern ihn auch ausgeraubt. Mindestens eine Billion US-Dollar müssten in den zurückliegenden zwei Jahrzehnten aus dem Ölexport ins Land geflossen sein. Dieses Geld ist aber verschwunden. Unter anderen aus den Enthüllungen der Panama Papers, der Swiss-Leaks und aus Kronzeugenaussagen im gigantischen Korruptionsfall Lava Jato geht hervor, dass es größtenteils auf Auslandskonten der Regimeführung und seiner Günstlinge schlummert.

Maduro hat es sich mit fast der ganzen Welt verscherzt

Funktionäre aus der Regierung und der Militärspitze stehen darüber hinaus im dringenden Verdacht, am internationalen Drogenhandel mitzuverdienen. Im Land selbst fehlt es seit Jahren an bezahlbaren Nahrungsmitteln und Medikamenten. Es sind die Armen und Benachteiligten, die unter dieser dramatischen Versorgungskrise am meisten zu leiden haben. Venezuela im Jahr 2017, das ist ein Mafiastaat, in dem kein Gesetz mehr gilt, außer das des Stärkeren. Und das Wirtschaftssystem ist keineswegs sozialistisch, sondern raubtierkapitalistisch in Reinform.

Maduros Vorgänger Hugo Chávez hat 2006 den Begriff vom "Sozialismus des 21. Jahrhunderts" geprägt, da war er schon sieben Jahre lang im Amt. Seine Form des Sozialismus gründete sich auf der damals noch sprudelnden Ölrendite, mit der er populäre Sozialprogramme finanzierte und sich politische Allianzen erkaufte, in Kuba, China, Russland und Iran vor allem. Bei Chávez war Sozialismus ein Mittel zum Zweck, unter Maduro sind davon nur noch die alten Worthülsen übrig.

Wenn es zwei Kontinuitäten gibt in Venezuela, dann ist es zum einen die Militarisierung der Gesellschaft, die schon unter dem General Chávez begonnen hat, aber unter dem Zivilisten Maduro rapide voranschreitet. Die korrupte Armeeführung bildet längst einen Staat im Staat, Maduro hat ihr immer mehr Kompetenzen abgetreten, weil er ihre Loyalität braucht, um sich an der Macht zu halten. Erst am Sonntag ließen treue und mutmaßlich gut geschmierte Generäle zum Dank einen Aufstandsversuch in einer Kaserne niedergeschlagen.

Zum anderen ist die Zahlungsmoral gegenüber den ausländischen Gläubigern von venezolanischen Staatsanleihen ungebrochen. Maduro hat es sich mit fast der ganzen Welt verscherzt, bloß nicht mit der Wall Street und der US-Ölwirtschaft. Auch das ist wohl ein Grund, weshalb er noch im Amt ist.

Nicht von ungefähr wird er im eigenen Land zunehmend auch von links her kritisiert, von einer wachsenden Gruppe, die ihn des Verrats an den ursprünglichen Ideen der Revolution bezichtigt. Dazu gehört auch die gerade abgesetzte Generalstaatsanwältin Luisa Ortega. In Venezuela haben viele schon verstanden, was manche im Ausland offenbar noch begreifen müssen: Gerade diejenigen, deren Herz links schlägt, sollten sich von Nicolás Maduro entschieden distanzieren.

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SZ vom 08.08.2017/dit
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