Süddeutsche Zeitung

Venezuela:Venezuelas Verfassungsgebende Versammlung entmachtet das Parlament

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Die neue Verfassungsgebende Versammlung in Venezuela hat sich über alle anderen Institutionen der Regierung gestellt. Ein entsprechendes Dekret gab sie in der Nacht auf Mittwoch heraus.

Die Räume der von der Opposition kontrollierten Nationalversammlung - dem eigentlichen Parlament - nahm sie auch gleich ein: Oppositionspolitiker durften nicht mehr in das Palastgebäude, nachdem die Präsidentin der Verfassungsversammlung, Delcy Rodríguez, mit Sicherheitskräften am späten Montag in die Einrichtung eingedrungen war.

"Wir drohen keinem", sagte Aristóbulo Istúriz, der Erste Vizepräsident der Verfassungsgebenden Versammlung. "Wir schauen nach Wegen der Koexistenz." Der Oppositionspolitiker Stalin González twitterte indes, die Übernahme des Parlamentsgebäudes sei im Zuge des Machtstreits erfolgt. "Die Regierung überfällt Orte, die sie nicht auf rechtmäßigem Wege gewinnen kann", schrieb er. Die Opposition hat die Nationalversammlung seit den Wahlen 2015 geleitet.

Mit der Entscheidung der Verfassungsgebenden Versammlung, sich selbst die oberste Macht zuzusprechen, werden die Nationalversammlung, Ministerien und andere Behörden künftig vermutlich davon abgehalten, Einfluss auf beschlossene Gesetze der Verfassungsversammlung zu nehmen.

Das umstrittene Gremium hatte nach seinem Zusammentreffen am Freitag bereits die Generalstaatsanwältin des Landes abgesetzt. Sie gilt als Kritikerin der sozialistischen Regierung von Präsident Nicolás Maduro und hatte sich gegen die Verfassungsgebende Versammlung ausgesprochen. Zudem richtete die Versammlung einen "Wahrheitsausschuss" ein, von dem erwartet wird, dass er auf Maduros politische Feinde abzielt. Mehrere oppositionelle Bürgermeister sind bereits vor Gericht gestellt worden.

17 Staaten verurteilen den Schritt

Die erneute Sitzung der Verfassungsgebenden Versammlung fand am Dienstag unter wachsender Kritik aus dem Ausland statt. Die Außenminister von 17 Nationen verurteilten die Versammlung gemeinsam und erklärten, ihre Regierungen würden sie nicht anerkennen. Die Mitteilung, unter anderem verabschiedet von Repräsentanten aus Mexiko, Kanada und Argentinien, erfolgte kurz nachdem das Gremium den politischen Allmachtsanspruch für sich verkündet hatte. Unter den lateinamerikanischen Ländern fehlt bisher eine einheitliche Linie für ein gemeinsames Vorgehen gegen Venezuela.

Nur einige wenige Dutzend Demonstranten folgten dem Aufruf der Opposition, auf den Straßen von Caracas gegen die Regierung zu protestieren. Zu Spitzenzeiten hatten die Demonstrationen Hunderttausende auf die Straßen getrieben, doch Angst und Resignation machen sich unter Regierungsgegnern immer breiter. Seit Beginn der Proteste starben mindestens 124 Menschen, Hunderte wurden verletzt oder festgenommen.

Ein am Dienstag veröffentlichter UN-Bericht machte die venezolanischen Streitkräfte für vier Todesfälle seit April verantwortlich. Weitere 27 Menschen seien durch bewaffnete Schlägertrupps der Regierung getötet worden.

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