Venezuela nach der Ära Chávez:Massive Proteste setzen Maduro unter Druck

Venezuela's President Maduro speaks during a national broadcast at Miraflores Palace in Caracas

Schwacher Präsident, starke Worte: Nicolás Maduro

(Foto: REUTERS)

In Venezuela leben die alten Feindschaften wieder auf. Bei Demonstrationen gegen den schwachen Präsidenten Maduro werden mehrere Menschen erschossen. Der reagiert mit einem Haftbefehl gegen einen populären Oppositionsführer - und mit der Ausweisung von Beamten des US-Konsulats.

Von Peter Burghardt, Buenos Aires

Es sind nicht die ersten Demonstrationen für und gegen die sozialistische Regierung in Venezuela, diesmal aber ist der Zwist so gefährlich wie lange nicht. Mindestens drei Menschen wurden bei den Protesten in den vergangenen Tagen erschossen, zwei oppositionelle Studenten und ein Polizist.

Mehrere Demonstranten wurden verletzt und verhaftet, und nun will die Justiz einen Oppositionsführer festnehmen. Es heißt, Leopoldo López werde im ganzen Land gesucht. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm vor, er habe die Gewalt angezettelt. Jeder dieser Konflikte zeigt, wie zerrissen diese südamerikanische Republik ein knappes Jahr nach dem Tod von Hugo Chávez ist. Die Bruchlinien ziehen sich mitten durch die verfeindeten Lager.

Die Stimmung in Caracas erinnert an 2002, als der damalige Präsident Chávez aus dem Amt geputscht wurde und erst mit Hilfe der Armee zurückkehrte. Seinerzeit gab es ebenfalls Tote, reaktionäre Gegner scheiterten damals mit ihrem Umsturz sowie einem folgenden Streik und Wahlboykott. Und der brachiale Widerstand reaktionärer Kreise machte den Caudillo stärker.

Toilettenpapier fehlt, Zeitungspapier geht aus

Chávez gewann dank seiner Ölmilliarden und Sozialprogramme Wahl um Wahl, Referendum um Referendum, ehe er im März 2013 einem Krebsleiden erlag. Vernünftige Rivalen besannen sich auf den demokratischen Wettbewerb und hätten Chávez' schwachen Nachfolger Nicolás Maduro im April 2013 fast bezwungen. Jetzt ist die Feindschaft wieder offen sichtbar.

Die Lage eskalierte am Mittwoch, als Studenten gegen Maduro und seine Riege auf die Straße gingen. Vertreter der Universitäten hatten sich schon früher immer wieder gegen die Herrschenden aufgelehnt, 2007 nach der Verbannung des anti-chavistischen Privatsenders RCTV auch gegen Chávez. Nun machten Herausforderer aus den Hörsälen erneut mobil.

Grund ist, dass das ölreiche Venezuela zunehmend chaotisch wird und Maduro immer mehr in Bedrängnis gerät. Die Inflation hat bereits mehr als 50 Prozent erreicht. In Supermärkten fehlen Grundstoffe wie Toilettenpapier. Regierungskritischen Blättern wie der traditionsreichen Gazette El Nacional geht das Zeitungspapier aus, weil Maduros Regierungslager die Devisen für die Einfuhr von Druckrollen nicht freigibt. Die Kriminalität wuchert, kürzlich wurden eine frühere Schönheitskönigin und ihr Mann nach einer Autopanne neben ihrer kleinen Tochter ermordet.

In diesem Ambiente fordern Studentenverbände Maduros Rücktritt, unterstützt von rechtskonservativen Politikern. "Es war eine friedliche Demonstration, aber leider haben bewaffnete Gruppen der Regierung einen Trauertag daraus gemacht", klagte die Geschichtsstudentin Gabriela Arellano, 26, der Universidad de los Andes, dem Sender BBC.

Maduro weist drei US-Konsularbeamte aus

Zusammenstöße mit Polizei und Sympathisanten der Chavisten beendeten in Caracas bereits drei Leben. Woher die Schüsse kamen, ist umstritten. Beide Seiten beschuldigen einander. Die Studenten sind überzeugt, dass regierungstreue Milizen die Kugeln abfeuerten. Fotos und Videos zeigen, wie zivile und auch mit schwarzer Kampfmontur bekleidete Männer mit Pistolen schießen. Das Staatsfernsehen blendete die Szenen indes aus.

Die rechte Politikerin María Corina Machado attackierte Maduro; sie war vor einigen Monaten bei einem anderen Streit im Parlament verprügelt worden. "Nur diesem Regime kommt die Gewalt entgegen, es fürchtet zivile und pazifistische Kundgebungen", sagte Machado. "Die Antwort auf eine despotische Regierung ist die Straße. Unser Ziel ist es, dieses Regime auszuwechseln, das die Venezolaner unterdrückt."

Maduro dagegen wittert den Versuch eines Staatsstreiches mit Hilfe der USA sowie des ehemaligen kolumbianischen Präsidenten Álvaro Uribe und bläst zur Gegenoffensive. Am Sonntag kündigte Maduro die Ausweisung von drei Konsularbeamten der US-Botschaft in Caracas an. Der Präsident sagte, die drei hätten gegen die venezolanische Regierung konspiriert. Sie sollen Kontakt zu protestierenden Studenten gehabt haben. Die Namen der Betroffenen nannte Maduro nicht. Er sagte nur, die venezolanischen Geheimdienste hätten deren Aktivitäten an einigen Universitäten verfolgt. Sie hätten dort die Ausstellung von Visa für die USA angeboten.

Der relative Friede ist zerbrochen

Am Samstag versammelte der ungelenke Erbe von Chávez in der Hauptstadt rotgekleidete Sympathisanten. Offizieller Anlass der Veranstaltung war ein Plan gegen das Verbrechen, "für den Frieden, gegen den Faschismus und gegen Putschisten". Maduro bezeichnete sich wie üblich als "Sohn von Chávez" und kündigte an, man werde keinen Millimeter zurückweichen. "Ich rufe das ganze Volk auf die Straße, um den Frieden zu garantieren. Venezuela steckt niemand in Brand! Volk in Alarmbereitschaft! Armee in Alarmbereitschaft!"

Bereits vor einigen Tagen wurde ein Haftbefehl gegen Leopoldo López ausgestellt, den smarten Wortführer der radikalsten Anti-Chavisten. López, 42, war Bürgermeister des schicken Viertels Chacao, einer Bastion der Oberschicht. Er soll bereits in den gescheiterten Putsch vor zwölf Jahren gegen Chávez verwickelt gewesen sein und wird einer Verschwörung gegen Maduro verdächtigt. "Feigling, Faschist! Stelle dich, wir suchen dich", schrie Maduro. Am Wochenende wurde López' Elternhaus durchkämmt.

Damit ist endgültig der relative politische Frieden der Ära nach Chávez zerbrochen, auch Washington äußerte Sorgen. Die mühsam geeinte Opposition ist wieder geteilt; der gemäßigte Präsidentschaftskandidat Henrique Capriles setzt anders als Hardliner wie López und Machado auf Wahlen und Versöhnung.

Dem überforderten Präsidenten Maduro wiederum fehlen Charisma und Unterstützung seines Vorgängers Chávez. Er hat zudem mit einem parteiinternen Nebenbuhler zu kämpfen, mit dem Parlamentspräsidenten Diosdado Cabello, einem Mann des Militärs. Selbst vormalige Anhänger von Maduro sind skeptisch geworden. Chávez' einstiger Berater, der Deutsch-Mexikaner Heinz Dieterich, empfiehlt "eine Regierung der nationalen Rettung".

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