Venezuela:Terror vor der Haustür

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Die Oppositionsführerin María Corina Machado bei einer Protestversammlung am vergangenen Samstag. Inzwischen befindet sie sich an einem geheimen Ort und sagt: "Ich fürchte um mein Leben". (Foto: Fausto Torrealba/Reuters)

Diktator Nicolás Maduro hat noch immer keine Beweise geliefert für seinen umstrittenen Wahlsieg. Dafür geht das Regime umso härter gegen Demonstranten und Opposition vor.

Von Christoph Gurk, Buenos Aires

In Venezuela nennen sie es Operación Tun Tun, auf Deutsch so viel wie „Kommando Klopf Klopf“: Mitten in der Nacht fahren vermummte Polizisten oder Geheimdienstmitarbeiter vor. Mal stehen sie vor der Tür von Oppositionellen, mal bei Aktivisten, oft aber auch bei ganz normalen Menschen, denen vorgeworfen wird, an einer der vielen Demonstrationen teilgenommen zu haben, die es in den letzten Tagen überall im Land gab. Tun tun, macht es dann jedenfalls an der Tür. Klopf, Klopf. Danach: Handschellenklicken und Reifenquietschen. 2000 Verhaftungen habe es allein in den letzten Tagen gegeben, tönt der venezolanische Diktator Nicolás Maduro.

Rund eine Woche ist vergangen, seit er und seine chavistische Regierung mit hoher Wahrscheinlichkeit die Wahlen in dem südamerikanischen Land gestohlen haben. Nach einer angespannten Abstimmung, bei der alle seriösen Umfragen stets die Opposition weit vorn gesehen hatten, wurde am Ende doch wieder Machthaber Maduro zum Gewinner erklärt. Schnell gab es Zweifel, auch weil bis heute keine Beweise vorgelegt wurden.

Kaum hatte die Regierung ihren Sieg bekanntgegeben, brachen jedenfalls Proteste aus, in der Hauptstadt Caracas, aber auch in vielen anderen Teilen des Landes. Ebenso schnell aber reagierte das Regime: Polizisten wurden losgeschickt, dazu noch die gefürchteten colectivos, Schlägertrupps, regierungstreu, bewaffnet und gewaltbereit. Fast zwei Dutzend Tote soll es nun schon gegeben habe, schätzen Menschenrechtsorganisationen, zudem sprechen sie von willkürlichen Festnahmen wegen angeblicher Vergehen wie Heimatverrat und Terrorismus.

Der Machthaber will zwei neue Hochsicherheitsgefängnisse bauen lassen

Machthaber Nicolás Maduro wiederum behauptet, die Demonstranten seien in Wahrheit Kriminelle, ausgebildet im Ausland und mit dem Auftrag, Chaos zu stiften in Venezuela. 20 oder 30 Jahre sollen sie nun in Haft, droht er: „Diesmal gibt es keine Gnade!“ Sogar zwei neue Hochsicherheitsgefängnisse will der Machthaber bauen lassen.

Die Opposition appelliert an das Militär und die Sicherheitsbehörden. „Mitglieder der Streitkräfte und der Polizei“, schrieben am Montag Edmundo González Urrutia, der Kandidat der Opposition, und María Corina Machado, ihre Anführerin: „Erfüllt eure institutionellen Pflichten, unterdrückt das Volk nicht, begleitet es“. Alle Venezolaner, die Verwandte bei der Armee oder den Sicherheitsbehörden hätten, sollten darauf dringen, dass diese „illegale Befehle“ nicht befolgen und stattdessen den „Willen des Volkes“ achten. Fest stehe: „Wir haben die Wahlen gewonnen.“

Aus dem Ausland gibt es Unterstützung. Die Vereinigten Staaten, ebenso wie die meisten lateinamerikanischen und europäischen Länder erkennen das offizielle Wahlergebnis nicht an. Josep Borrell, der Außenbeauftragte der Europäischen Union, forderte zudem, „willkürliche Verhaftungen, Repressionen und gewalttätige Rhetorik“ einzustellen und alle politischen Gefangenen freizulassen.

Das Regime in Caracas zeigt sich von all dem internationalen Druck aber bisher unbeeindruckt. Am Montag erklärte Tarek William Saab, der oberste Staatsanwalt von Venezuela, dass nun auch gegen Machado und González strafrechtliche Ermittlungen eingeleitet würden. Sie hätten „fälschlicherweise einen anderen Gewinner der Präsidentschaftswahlen“ verkündet und dazu „Polizei- und Militärbeamte offen dazu angestiftet, Gesetze zu missachten“. Die beiden Oppositionspolitiker sind zwar vermutlich noch im Land, und am Samstag trat María Corina Machado auch noch bei einer großen Protestveranstaltung in Caracas auf. Ihr genauer Aufenthaltsort aber ist mittlerweile geheim. „Ich fürchte um mein Leben“, sagt Machado.

Mit der staatlichen Kommunikations-App können Nutzer ihre Nachbarn denunzieren

Auch in der Bevölkerung geht Angst um. In sozialen Netzwerken und auf WhatsApp werden Aufrufe verbreitet, die Smartphone-Besitzern dazu raten, alle Chatverläufe, Profilbilder und selbst Fotos im Smartphone Speicher zu löschen, die eine Teilnahme an Protesten vermuten lassen könnten. Polizisten würden auf der Straße willkürliche Festnahmen vornehmen und dabei auch Telefone durchsuchen.

Im Netz posten Anhänger von Nicolás Maduro gleichzeitig die Namen und Adressen von Regierungsgegnern. In der staatlichen Kommunikations-App „Ven App“ wurde eigens eine Funktion eingeführt, mit der Nutzer ihre Nachbarn oder Bekannte denunzieren können, wenn sie vermuten, dass diese an den Protesten teilgenommen haben.

Auch die letzten unabhängigen Medien im Land geraten so unter Druck. Es gab in den vergangenen Tagen Verhaftungen, und mehr als ein Dutzend ausländische Berichterstatter wurden des Landes verwiesen, zuletzt ein TV-Team aus Chile. Und im Netz drohen Chavisten den Journalisten: „Bei euch wird es auch bald an der Tür klopfen“. Tun tun.

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