Süddeutsche Zeitung

Machtkampf in Venezuela:Wie es in Venezuela weitergehen könnte

  • In Venezuela tobt ein Machtkampf zwischen Nicolás Maduro und Juan Guaido. Beide beanspruchen den Posten des Präsidenten für sich.
  • Die meisten Länder der westlichen Hemisphäre erkennen die Machtübernahme durch Guaido an. Mexiko tut das noch nicht und könnte deshalb als Vermittler auftreten.
  • Ob Guaido Erfolg hat, hängt auch davon ab, ob das Militär Maduro fallenlässt oder weiter unterstützt.

Von Boris Herrmann, Guatemala-Stadt

Jetzt noch einmal langsam, der Reihe nach. Die Ereignisse in Venezuela haben sich an diesem denkwürdigen Tag ja ziemlich überschlagen. Es ging los mit der ersten Massendemonstration seit vielen Monaten gegen den autokratisch herrschenden Nicolás Maduro. Ein Mann, der das ölreichste Land der Welt binnen sechs Jahren in einen Hungerstaat verwandelt hat und sich Anfang Januar für sechs weitere Jahre vereidigen ließ - mit dem Verweis auf eine Wahl, die nach breitem Urteil keine war. Die zuletzt erstaunlich matte Protestbewegung wurde nicht von Ungefähr an einem 23. Januar zu neuem Leben erweckt, dieses Datum ist im nationalen Gedächtnis mit dem Triumph der Demokratie verknüpft. Exakt 61 Jahre zuvor stürzte der Diktator Marcos Pérez Jiménez.

Auch Maduro wird von vielen als Diktator bezeichnet. Juan Guaidó, der Präsident eines Parlaments, das aus Maduros Sicht längst abgeschafft ist, benutzt lieber den Begriff Usurpator, Thronräuber. Als Hauptredner der Demonstration von Caracas hat Guaidó nun selbst nach dem Thron gegriffen. Unter dem Jubel der Massen hob er die Hand zum Schwur und erklärte: "Vor dem allmächtigen Gott gelobe ich, die Kompetenzen der Exekutive als Interimspräsident von Venezuela zu übernehmen."

Donald Trump hatte da offenbar schon die Hand am Smartphone - so schnell wie er Guaidós Machtübernahme anerkannte, war sonst keiner. Wenig später schloss sich nahezu die gesamte westliche Hemisphäre an, darunter Brasilien, Argentinien, Chile, Kolumbien, Peru, Ecuador, Guatemala und Kanada sowie die Organisation Amerikanischer Staaten (OAS).

Neben den üblichen Verdächtigen, Bolivien und Kuba, geht jetzt nur noch ein gewichtiges lateinamerikanisches Land davon aus, dass der Präsident von Venezuela Nicolás Maduro heißt: Mexiko. Das bringt dem linkspopulistischen, aber gewiss demokratisch gesinnten Präsidenten Andrés Manuel López Obrador zwar viel internationalen Rüffel ein. Andererseits hält sich Mexiko damit die Option offen, bei einer derzeit unwahrscheinlichen, aber auch nicht komplett ausgeschlossenen Verhandlungslösung zum Rücktritt Maduros als Vermittler aufzutreten. Vielleicht wird man López Obrador eines Tages für etwas dankbar sein, was zunächst wie sein notorischer Starrsinn aussah.

Diplomatische Beziehungen oder nicht?

Am frühen Nachmittag, Ortszeit Caracas, griff dann Nicolás Maduro in den rasanten Lauf der Ereignisse ein. Er erklärte die diplomatischen Beziehungen zu den USA für beendet und forderte alle US-Diplomaten auf, binnen 72 Stunden das Land zu verlassen. Daraufhin meldete sich wieder Guaidó zu Wort und rief kraft seines Amtes, das die Verfassung ihm verleihe, alle Diplomaten dazu auf, unbedingt in Venezuela zu bleiben. Ob zwischen den beiden Staaten noch diplomatische Beziehungen bestehen, hängt fortan also von der Frage ab, welcher der beiden venezolanischen Präsidenten von wem für legitim gehalten wird. Die Europäische Union will sich dazu am Donnerstag nach einer internen Abstimmung offiziell äußern. EU-Ratspräsident Donald Tusk erklärte bereits am Mittwoch, das venezolanische Parlament und dessen Präsident Juan Guaidó habe im Gegensatz zu Maduro "ein demokratisches Mandat" der Bürger.

Guaidó ist 35 Jahre alt und war vor wenigen Wochen selbst in seiner Heimat noch weitgehend unbekannt. Er gilt als Ziehsohn von Leopoldo López, dem populären Oppositionsführer im Hausarrest. Maduro hatte ihn wohl genau so wenig auf der Rechnung wie der Rest der Welt. Das hat Guaidó geschickt ausgenutzt, um in kürzester Zeit aus der Deckung zum großen Hoffnungsträger, zum Befreier der Nation aufzusteigen.

Ob sein erklärter Plan, eine Übergangsregierung zu bilden und Neuwahlen auszurufen, aufgeht, hängt davon ab, ob und auf welche Weise er Maduro loswird. Das Land steckt seit vielen Monaten in einer umfassenden humanitären Krise, wie sie internationale Beobachter sonst nur aus Kriegsgebieten kennen. Täglich sterben Menschen an eigentlich heilbaren Krankheiten in den Krankenhäusern, weil das Gesundheitssystem komplett kollabiert ist. Menschen wühlen im Müll auf der Suche nach etwas Essbarem. Manche rufen deshalb nach einer militärischen Intervention, um dem Spuk ein Ende zu bereiten. Und tatsächlich verlautete am Mittwoch aus Washington, man halte sich "alle Optionen" offen. Deutlich besser, auch für Guaidó, wäre sicherlich, wenn die Venezolaner das selbst regeln würden. Entscheidend könnte dabei die Rolle der Streitkräfte sein.

Die einfachen Soldaten leiden wie alle anderen Menschen

Maduro hat sich mit Geschenken und Posten die Loyalität der hochrangigen Generäle erkauft, aber die einfachen Soldaten leiden wie alle anderen Menschen im Land. Es wird in den kommenden Tagen darauf ankommen, ob Guiadós Momentum dazu beiträgt, dass sich innerhalb der Armee die Unzufriedenen durchsetzen und den Befehl zur Niederschlagung der Straßenproteste verweigern. Noch sieht es nicht danach aus. Am Mittwochabend wurden bei den Protesten gegen Maduro 13 Tote im ganzen Land gemeldet. Außerdem schwor Verteidigungsminister Vladimir Padrino seine Truppen auf den Kampf gegen Guaidós Bewegung ein. "Die Soldaten des Vaterlandes akzeptieren keinen Präsidenten, der von dunklen Mächten eingesetzt wird, oder sich abseits des Rechts selbst einsetzt", teilte er mit.

Als ob der Tag noch nicht genug Eilmeldungen in der Karibik produziert hätte, landete zwischendurch auch noch Papst Franziskus in Panama, also von Venezuela aus betrachtet praktisch um die Ecke. Dort findet der Weltjugendtag statt, Franziskus aber ist bekanntlich nicht nur eine betender, sondern auch ein politisch aktiver Pontifex. Das stellte er im Anflug auf Panama mit einer scharfen Verurteilung von Trumps Mauerbauplänen wieder unter Beweis. So mancher gläubige Venezolaner ist der Meinung: Eine päpstliche Rüge an Maduro würde in dieser Situation nicht nur geografisch naheliegen.

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