Venezuela:Der Sozialist, der nicht geht

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Venezuelas Präsident Nicolás Maduro bei einer Rede in Caracas im Februar. 2019 sah es für eine kurze Zeit so aus, als könnte er gestürzt werden. (Foto: Leonardo Fernandez Viloria/Reuters)

Seit zehn Jahren regiert Nicolás Maduro Venezuela mit harter Hand. Wieso bleibt er trotz aller Krisen und Probleme an der Macht, während Millionen Menschen das Land verlassen?

Von Christoph Gurk, Buenos Aires

Es ist noch nicht allzu lange her, da sah alles danach aus, als ob es nur noch eine Frage der Zeit sei, bis Venezuelas Machthaber Nicolás Maduro stürzt. Es war das Jahr 2019, die Wirtschaft des einst so reichen südamerikanischen Ölstaates lag am Boden, die Opposition war erstarkt und der Druck aus dem Ausland wuchs.

Sogar in den Armenvierteln der Hauptstadt Caracas - einst Bastion der sozialistischen Regierung - waren Proteste ausgebrochen und auf CNN verkündete der damalige Außenminister Mike Pompeo im Brustton der Überzeugung: "Maduros Tage sind gezählt". Heute ist klar: Er hat sich geirrt. Nicolás Maduro ist nicht nur nicht gestürzt, er hat seine Position auch noch gefestigt.

Genau zehn Jahre sind vergangen, seit Maduro im März 2013 vom Vize- zum Interimspräsidenten vereidigt wurde. Nötig war das geworden, weil sein Vorgänger im Amt, Hugo Chávez, wenige Tage zuvor an Krebs gestorben war. Der linke Caudillo hatte Venezuela zuvor über fast eineinhalb Jahrzehnte regiert, in einer Zeit, die viele bis heute als goldene Jahre empfinden.

Unter Chávez profitierten viele Venezolaner von den Bodenschätzen

Damals, in den frühen Nullerjahren, kletterten die globalen Rohstoffpreise in immer neue Höhen. Die Welt gierte nach Eisen und Kupfer, Soja und Weizen, vor allem aber auch nach Öl - und Venezuela hatte davon so viel wie kaum ein anderes Land der Welt.

Die Dollar sprudelten nur so in die Kassen der sozialistischen Regierung. Und obwohl auch damals schon Millionen in den Taschen korrupter Politiker verschwanden, war der Geldsegen dennoch immer noch so groß, dass auch breite Teile der Bevölkerung von ihm profitierten.

Chávez stieg zum Helden auf, verehrt von der lateinamerikanischen Linken und vergöttert im eigenen Land. Doch dann brach 2012 eine angeblich schon überwundene Krebserkrankung wieder aus. Am 5. März 2013 wandte sich Nicolás Maduro, der damalige Vizepräsident, aus dem Militärkrankenhaus in Caracas ans Volk: "Der comandante presidente ist verstorben", erklärte er mit zitternder Stimme im Staatsfernsehen.

So, wie es die venezolanische Verfassung vorsah, gab es Neuwahlen. Und so wie Chávez es sich vor seinem Ableben gewünscht hatte, stimmte eine Mehrheit der Venezolaner für Maduro. Doch auch wenn der neue Präsident den Segen seines legendären Vorgängers hatte, so fehlte ihm dennoch dessen Charisma. Nicolás Maduro wirkte oft steif und unbeholfen, und im Ausland war von ihm meist nur als "ehemaliger Busfahrer" die Rede.

Ganz falsch war das nicht: Maduro hatte in den 90er-Jahren tatsächlich im öffentlichen Personennahverkehr in Caracas gearbeitet. Gleichzeitig aber hatte er auch schon früh in seiner Jugend eine politische Laufbahn begonnen, er war Studenten- und Gewerkschaftsführer und Mitglied der von Chávez gegründeten Bewegung für eine "Bolivarische Revolution". Unter ihm wurde er zum Abgeordneten gewählt, später war er Sprecher der Nationalversammlung, dann Außenminister, Vizepräsident und schließlich Staatschef.

Die Menschen haben Angst, auch das wenige zu verlieren, was sie noch haben

Doch Venezuelas goldene Zeiten waren bei Maduros Amtsantritt längst vorbei. Viele Industrie- und Wirtschaftszweige waren hochsubventioniert, und als im Dezember 2015 der Ölpreis auf dem Weltmarkt einbrach, riss er Venezuela endgültig mit in die Tiefe. Hatte das Land zuvor fast alle Gebrauchsgüter aus dem Ausland importiert, fehlte dafür nun das Geld. Dazu kamen US-Sanktionen. Die Regale in den Supermärkten blieben leer, in Krankenhäusern gab es keine Medikamente mehr, es kam zu tagelangen Stromausfällen, die Teuerung wandelte sich in eine Hyperinflation.

Massenproteste brachen aus, nur mit Mühe und immer öfter auch Gewalt konnten Polizei und Sicherheitskräfte die Demonstrationen unter Kontrolle bringen, es gab Tote und Verletzte. Bald mussten die Chavisten auch in der Politik nachhelfen: Das von der Opposition dominierte Parlament wurde kurzerhand entmachtet, und bei den Präsidentschaftswahlen 2018 gab es so viele Unregelmäßigkeiten und so wenige Oppositionskandidaten, dass Kritiker von einer "Farce" sprachen. Menschenrechtsorganisationen beklagten Folter und außergerichtliche Hinrichtungen.

Anfang 2019 eskalierte dann die Lage: Der junge Präsident der Nationalversammlung, Juan Guaidó, ernannte sich selbst zum Interimspräsidenten. Kurz sah es so aus, als ob Maduro stürzen könnte, doch am Ende blieb der ganz große Aufstand aus - und Maduro damit im Amt. Bis heute.

Ein Grund dafür ist, dass sich das Militär nie von der sozialistischen Regierung abgewandt hat - zu verlockend sind offenbar politische Posten und profitable Pfründe. Gleichzeitig sind auch breite Teile der Bevölkerung längst auf die Regierung angewiesen: Sie bekommen Essenspakete und Sozialleistungen. Oft reicht all diese staatliche Hilfe zwar kaum zum Überleben, viele haben aber Angst, im Falle eines Machtwechsels das wenige zu verlieren, was sie noch haben.

Massenexodus statt Massendemonstrationen

Nun, nach Jahren schwerster Krisen, gibt es erste zaghafte Anzeichen, dass es wirtschaftlich langsam wieder bergauf geht. Der Dollar hat heute im Alltag weitgehend die Landeswährung Bolivar abgelöst, die Regale in den Supermärkten sind voll, es gibt sogar Luxuswaren, und Popstars machen auf Tournee wieder Halt in Caracas.

Doch der neue Wohlstand betrifft nur eine kleine Schicht, immer wieder gibt es Proteste und auch weiterhin verlassen Monat für Monat Tausende das Land: Rund sieben Millionen Venezolaner sind seit 2015 ausgewandert, fast ein Viertel der Gesamtbevölkerung. Eine Tragödie, die am Ende aber auch wieder Maduro nützen könnte: Massenexodus statt Massendemonstrationen.

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Gleichzeitig hat sich auch das regionale und globale Machtgefüge verschoben. Viele Länder Südamerikas sind derzeit wieder von Linken regiert, man kennt sich und schätzt sich teilweise sogar. Und auch mit Europa und selbst den USA gibt es wieder Annäherungen: Der Krieg in der Ukraine hat dafür gesorgt, dass venezolanisches Öl auf einmal wieder interessant wird und alle politischen und menschenrechtlichen Bedenken an Gewicht verlieren.

Ende letzten Jahres wagte sich Nicolás Maduro sogar auf den Weltklimagipfel in Scharm el-Scheich. Dort plauschte er mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron: "Kommen Sie uns doch mal besuchen", sagte Maduro. Die Botschaft war klar: Venezuela ist wieder wer auf der Weltbühne - und Nicolás Maduro auch nach zehn Jahren immer noch der unangefochtene Machthaber im Land.

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