Süddeutsche Zeitung

Krise in Venezuela:"Diese Leute ruinieren das Land"

  • Die Stromausfälle in Venezuela verschlimmern das Leid der Bevölkerung, vielerorts bleibt auch oft das Wasser weg.
  • Oppositionsführer Juan Guaidó versucht, aus dem Chaos Nutzen zu ziehen und ruft zur nächsten Großdemonstration an diesem Samstag auf.
  • Das Maduro-Regime bemüht sich, ihn nach Kräften einzuschüchtern. Nun wurde Guaidós Immunität aufgehoben, theoretisch könnte er jederzeit verhaftet werden.

Von Benedikt Peters, Villa del Rosario

Ihr Vorname bedeutet Hoffnung, aber die Hoffnung hat Esperanza García längst verloren. An einem heißen Tag Ende März humpelt sie über die Simón-Bolívar-Brücke, die Venezuela mit Kolumbien verbindet. Sie geht noch zwei Schritte, dann legt sie die Hand auf das Brückengeländer und bricht in Tränen aus. García ist 64 Jahre alt, im linken Knie hat sie eine Schleimbeutelentzündung, ihr rechtes Bein ist von einer Thrombose blau angelaufen. Trotzdem ist sie an diesem Tag aus dem gut 40 Kilometer entfernten San Cristóbal in den kolumbianischen Grenzort Villa del Rosario gekommen, einen Teil davon zu Fuß. "Weil es einfach nicht mehr anders geht", sagt sie.

Sie nimmt das Schmerzmittel Flotac, in Venezuela bekommt sie es nicht mehr. Und sie braucht neue Lebensmittel, Mehl, Öl, Reis, Zucker, Milch; Dinge, die für Hausfrauen wie sie in Venezuela längst unbezahlbar geworden sind. García will sie gleich hinter der Grenze kaufen und in einer blauen Tasche zurück ins venezolanische San Cristóbal schleppen. Doch dort wird es für sie dann schwierig werden, auch etwas Essbares aus ihnen zuzubereiten. "Sie nehmen uns den Strom weg, jeden Tag", sagt García. "Und Wasser gibt es auch oft keines."

Eigentlich hatte der autoritäre Staatschef Nicolás Maduro längst einen "Sieg im elektrischen Krieg" verkündet, den er angeblich gegen die USA und die venezolanische Opposition führt. So tönte er im Staatsfernsehen, wenige Tage, bevor Esperanza García weinend auf der Brücke steht. Es ist nicht bloß ihre Erfahrung, dass dieser angebliche Sieg nichts wert ist. Seit Anfang März wird Venezuela von einer Serie von Stromausfällen heimgesucht. Und weil damit auch die elektrischen Pumpen stillstehen, die das Wasser vielerorts in die Haushalte befördern sollen, ziehen einige Venezolaner jetzt regelmäßig mit Eimern zu Flüssen.

Für manche, die auf dem Land leben, ist die Lage nicht ganz neu, Licht und Wasser gab es dort in den vergangenen Jahren ohnehin nur ein paar Stunden am Tag. Nun aber gehen auch in weiten Teilen der Hauptstadt Caracas immer wieder die Lichter aus, die Metro steht tagelang still, und in den Krankenhäusern versagen die Notstromaggregate.

Dutzende Patienten seien daran gestorben, berichten Ärzteorganisationen. Es kursieren unterschiedliche Zahlen, aber selbst die Maduro-Regierung spricht von 46 Opfern durch Stromausfälle seit 2017. Esperanza García erzählt, auch sie habe einen Todesfall in der Familie. Vor zwei Wochen sei ihre Tante gestorben, da sie wegen des Strommangels keine Dialyse mehr bekommen habe.

Bei einem Auftritt im Staatsfernsehen erklärte Maduro Anfang der Woche, dass die Versorgung nun rationiert werde - Schulen, Behörden und Betriebe sollen um 14 Uhr schließen. Zudem tat der Autokrat erneut alles, um das humanitäre Desaster politisch auszuschlachten. Ursache für die Stromausfälle seien "bestialische Angriffe des Imperialismus und seiner Lakaien", behauptete Maduro. Er meint damit die US-Regierung und die venezolanische Opposition. Gegen deren Anführer Juan Guaidó laufen bereits zwei Ermittlungsverfahren, der Rechnungshof verhängte gegen ihn für 15 Jahre das Verbot, politische Ämter auszuüben. Nun entzog das Maduro-hörige Ersatzparlament, die sogennante "Verfassungsgebende Versammlung", Guaidó die Immunität.

Die offizielle Begründung dafür lautet, dass der Oppositionsführer eine Ausreisesperre verletzt habe, als er Ende Februar durch Lateinamerika tourte. Theoretisch könnte er nun jederzeit verhaftet werden. Guaidó nimmt das jedoch gelassen hin, was vor allem daran liegen dürfte, dass die US-Regierung nach wie vor hinter ihm steht. "Natürlich wollen sie mich im Gefängnis sehen", sagte er am Montag bei einer Kundgebung in San Bernadino in der Nähe der Hauptstadt. "Aber darum müssen wir uns keine Sorgen machen."

Auch Guaidó versucht, die chaotische Lage rund um die Stromausfälle für sich zu nutzen. "Wir werden wieder Wasser und Strom haben, wenn der Thronraub vorbei ist", sagte er in San Bernardino. Er bezeichnet Maduro gern als "usurpador", zu deutsch Thronräuber. An diesem Samstag will Guaidó "Operation Freiheit" starten, er meint damit eine Serie von Demonstrationen, um Maduro endlich davonzujagen. Weil der Oppositionsführer damit zuletzt kaum vorankam, dürfte ihm jeder Venezolaner recht sein, der nun aus Verzweiflung zu ihm überläuft.

Schon vor Wochen hatte Maduro angekündigt, er werde Beweise dafür vorlegen, dass die USA die Stromausfälle verursacht hätten, durch Cyberattacken auf das Wasserkraftwerk am Guri-Stausee, das 80 Prozent des Landes mit Energie versorgt. Er schickte dann seinen Informationsminister Jorge Rodríguez ins Staatsfernsehen, um die "Beweise" zu präsentieren. Sie bestehen im Wesentlichen aus einem Tweet des republikanischen US-Senators Marco Rubio, der kurz nach dem ersten großen Stromausfall bereits darüber berichtete. "Wie konnte er davon wissen?", fragte Rodríguez, obwohl zu diesem Zeitpunkt längst Berichte in der Welt waren.

"Beweis" Nummer zwei lieferte der Staatssender Telesur in einem eigenen Beitrag. Der Opposition nahestehende Venezolaner hätten bereits Tage zuvor auf Twitter von einem "Blackout" gesprochen, heißt es da. Wer eine Minute recherchiert, findet jedoch heraus, dass es nicht um einen bevorstehenden Stromausfall ging - sondern um das Gerücht, dass die Regierung das Internet abschalten könnte, um die Opposition zu gängeln. Später behauptete Maduro dann noch, die "Attacken" seien aus Chicago und Houston gekommen.

Bei Menschen wie Esperanza García hat die Propaganda nicht verfangen. "Diese Leute ruinieren das Land", sagt sie über die Regierung. So sehen es auch einige Mitarbeiter der staatlichen Elektrizitätsgesellschaft Corpoelec, die darauf hingewiesen haben, dass jahrelang kaum in die Infrastruktur investiert wurde und nötige Wartungsarbeiten unterblieben, weil dafür schlicht die Mittel fehlten. Im Wasserkraftwerk am Guri-See waren Experten zufolge nur elf der zwanzig Turbinen in Betrieb. All das sei letztlich die Folge der gigantischen Korruption des Führungszirkels um Maduro, der Milliarden öffentlicher Gelder ins Ausland geschafft haben soll.

Sie habe nur einen Wunsch, sagt Esperanza García in Villa del Rosario, bevor sie sich verabschiedet. "Mein Gott, das muss bald aufhören." Dann humpelt sie weiter, um endlich Essen zu kaufen.

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Quelle:
SZ vom 03.04.2019/mkoh/bepe
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