Südamerika:Internationale Vermittler sollen Venezuela vor dem Kollaps bewahren

A woman walks past empty shelves at a drugstore in Caracas

Leere Regale in Caracas: In Venezuelas Geschäften gibt es fast nichts mehr zu kaufen, selbst Grundnahrungsmittel sind rar.

(Foto: Marco Bello/Reuters)
  • Im festgefahrenen Machtkampf zwischen Regierung und Opposition in Venezuela sollen nun mehrere frühere Staatschefs spanischsprachiger Länder vermitteln.
  • Die Einnahmen des südamerikanischen Landes sind durch den niedrigen Ölpreis stark zurückgegangen. Zum Import von Grundnahrungsmitteln fehlt deshalb das Geld.
  • Die Opposition will Präsident Maduro stürzen. Die Mehrheit im Parlament nützt ihr jedoch nichts, weil das Land eines Präsidialdemokratie ist und Maduro seine Macht durch Notstandsverordnungen erweitert hat.

Von Sebastian Schoepp

Die Krise in Venezuela hat eine derartige Eskalationsstufe erreicht, dass sie offenbar nicht mehr ohne internationale Vermittlung lösbar ist. Regierung und Opposition sind in einem Machtkampf gefangen, der in Gewalt umzuschlagen droht.

Bei Treffen in der Dominikanischen Republik versucht eine Vermittlergruppe aus ehemaligen Staats- und Regierungschefs nun zu erreichen, dass beide Seiten einander wenigstens Botschaften zukommen lassen. Als Vermittler fungieren der frühere spanische Ministerpräsident José Luis Rodríguez Zapatero, sowie die ehemaligen Präsidenten Panamas und der Dominikanischen Republik, Martín Torrijos und Leonel Fernández. Federführend ist die Union Südamerikanischer Nationen, ein lockerer Staatenbund, der vor einer Dekade unter der Ägide der linksorientierten Staatschefs Lateinamerikas zusammenfand und hier nun seine erste große Bewährungsprobe bekommt. Eine Vermittlungsmission des Vatikans war gescheitert.

Das Land produziert nichts außer Öl und muss alles importieren

Venezuela steht vor dem Kollaps, die Versorgung mit Nahrung und Medizin ist nicht mehr gesichert, Regierung und Opposition schlagen nicht mehr nur verbal aufeinander ein. Hintergrund ist der gesunkene Ölpreis, praktisch die einzige Einnahmequelle des Landes, mit der die Regierung unter Präsident Nicolás Maduro umfangreiche Sozialleistungen finanziert, die er sich eigentlich nicht mehr leisten kann.

Das Land kann seine Schulden nicht mehr bezahlen, ist aber auf Einfuhren angewiesen, weil es selbst praktisch nichts produziert außer Öl. Sogar Bier ist knapp, weil die größte Brauerei Polar keinen Hopfen mehr kaufen kann. Coca-Cola stellte die Produktion aus Zuckermangel ein. Venezuela leidet unter der höchsten Inflationsrate der Welt, Notständen in den Krankenhäusern und Stromausfällen. Es wird von Hunger berichtet. Die Lufthansa wird von 17. Juni an wegen der Wirtschaftslage und Problemen mit dem Umtausch der Währung nicht mehr nach Caracas fliegen, wie ein Konzernsprecher mitteilte.

Schuld haben nach Meinung des Präsidenten die USA und die EU

Schuld an der ganzen Misere haben nach Meinung von Präsident Nicolás Maduro immer die anderen, vor allem die USA, die seinem von Hugo Chávez ererbten "Sozialismus des 21. Jahrhunderts" den Garaus machen wollten. Dazu passte eine Äußerung von US-Vizepräsident Joe Biden, der die Situation kürzlich als "alarmierend" bezeichnet hat, die Regierung habe zudem keinen Respekt vor den Menschenrechten.

Bidens Äußerung nahm Maduro als Beleg für seine These und ordnete großangelegte Manöver an, an denen 520 000 Soldaten, Reservisten und Freiwillige unter dem Motto "Unabhängigkeit 2016" teilnehmen mussten - was allerdings auch eine Botschaft ins Innere beinhaltete. Der linksgerichtete Präsident demonstrierte damit, dass er das Militär auf seiner Seite weiß, Offiziere profitieren gut vom gelenkten Wirtschafts-System. Kürzlich beschuldigte Maduro auch Spanien und die EU, sich an einer Verschwörung gegen ihn zu beteiligen.

Die Opposition warnt vor einer Eskalation

Wie es um Maduro stehen könnte, darüber hat sich kürzlich José Mujica, Ex-Präsident von Uruguay, Gedanken gemacht, der vielleicht beliebteste Politiker Lateinamerikas. Der alte Guerillero ist dafür bekannt, kein Blatt vor den Mund zu nehmen. Nicolás Maduro, sei "mas loco que una cabra", sagte Mujica, was frei übersetzt heißen soll: Maduro sei völlig verrückt geworden. Maduro antwortete auf seine Weise. Es könne schon sein, dass er verrückt sei, sagte der Venezolaner, aber eben "verrückt vor Vaterlandsliebe".

Die Opposition findet, er sei eher verrückt vor Machterhaltungstrieb. Anführer Henrique Capriles warnte davor, die Lage könnte eskalieren. Zwar hält ein Oppositionsbündnis seit der Parlamentswahl von Ende 2015 eine Zwei-Drittel-Mehrheit, kann aber nicht viel damit anfangen, weil Venezuela eine Präsidialdemokratie mit starker Stellung des Staatsoberhauptes ist. Maduro hat seine Machtfülle durch Notstandsverordnungen zusätzlich erweitert. Zudem verlieh er Militär und Bürgerwehren neue Vollmachten, angeblich, um die Lebensmittelversorgung zu sichern. Befugnisse des Parlaments wurden eingeschränkt und auf die Regierung übertragen. Maduro regiert mit Dekreten, was die Lage aber nicht gebessert hat.

Referendum

Für die Beantragung eines Referendums zum Sturz von Präsident Maduro hat Venezuelas Opposition 1,8 Millionen Unterschriften gesammelt, knapp 196 000 waren notwendig. Die Wahlbehörde will erst im Juni die Unterschriften prüfen - das ist ein heikler Moment für alle, die unterschrieben haben. Die Regierung hat angedeutet, dass etwa Staatsangestellte mit Schikanen zu rechnen haben, wenn sie gegen Maduro unterschrieben. Erkennt die Wahlbehörde die Unterschriften an, hätte die Opposition grünes Licht für einen weiteren Schritt. Sie müsste dann binnen drei Tagen knapp vier Millionen Unterschriften, das entspricht 20 Prozent der Wahlberechtigten, für ein Referendum, sammeln. Gelingt das, müsste eine Volksabstimmung über Maduros Verbleib im Amt innerhalb von drei Monaten stattfinden. SZ

Die Opposition will Maduro mit Hilfe einer Volksabstimmung stürzen

Die Mehrheit im Parlament wies die Notstands-Maßnahmen zurück, sie entsprächen nicht der Verfassung. Das letzte Wort hat das Oberste Gericht, doch das weiß Maduro auf seiner Seite. Die Regierung hatte erst zu Jahreswechsel neue Richter benannt. Die von Präsident Maduro ergriffenen Maßnahmen "zum Schutz der Bevölkerung und der Institutionen" seien verfassungskonform, urteilten diese. Die Opposition versucht nun, Maduro mit Hilfe einer Volksabstimmung zu stürzen.

Das Parlament forderte auch die Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) auf, auf Präsident Maduro einzuwirken. Doch mit der liegt der Präsident schon quer. OAS-Generalsekretär Luis Almagro hat Maduro kürzlich einen "dictadorzuelo" genannt, ein Diktatorchen. Die Retourkutsche kam auf Maduro-typische Art: Almagro sei ein CIA-Agent. Andere Argumente gegen Kritiker scheinen Maduro nicht mehr einzufallen.

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