Süddeutsche Zeitung

Machtkampf in Venezuela:Das ganze Land scheint überrascht zu sein

Lesezeit: 4 min

Zehntausende Venezolaner jubeln dem selbst ernannten Interimspräsidenten Juan Guaidó zu. Jetzt sprechen nur noch die Waffen der Armee für Maduro. Wie lange noch?

Von Boris Herrmann, Caracas

Egal, wie der Machtkampf in Venezuela ausgehen mag, das Land ist Anfang Februar 2019 nicht mehr das Land, das es Anfang Januar war. Noch vor vier Wochen schien der autokratische Staatspräsident Nicolás Maduro so fest im Sattel zu sitzen wie eh und je. Jetzt wird in allen Ecken von Caracas darüber diskutiert, ob es noch eine Frage von Wochen ist, bis er abdankt - oder eher eine Frage von Tagen.

Maduro, das muss man ihm lassen, ist ein Phänomen der Beharrlichkeit. Er hat schon so viele Krisen überstanden, dass die Venezolaner zwischenzeitlich den Glauben daran verloren haben, ihn jemals wieder loszuwerden. Aber dieser Tage erlebt er zweifellos die schwersten Tage seiner inzwischen sechsjährigen Amtszeit. Sein Volk hat ihn verlassen, auch international ist er weitgehend isoliert. Und ihm geht das Geld aus. Das einzige, was zur Stunde für Maduro spricht, sind die Waffen der Armee, der Nationalgarde, der Polizei und der Milizen. Nur mit ihrer Unterstützung hält sich seine marode Militärdiktatur an der Macht. Noch. Vermutlich spürt auch Nicolás Maduro: Da könnte bald etwas zu Ende gehen in Venezuela.

Warum ausgerechnet jetzt? Gute Frage. Das ganze Land scheint ja überrascht zu sein von der Dynamik der vergangenen Tage. Eine der größten Überraschungen ist sicherlich, dass es wieder eine wahrnehmbare Opposition gibt, eine Bewegung, die den Frust der großen Bevölkerungsmehrheit repräsentiert. Jahrelang waren Maduros politische Gegner vor allem damit beschäftigt, sich gegenseitig zu zerfleischen. Neuerdings spricht diese Opposition mit einer Stimme. Das ändert vieles, wenn nicht gar alles.

Es stört nicht einmal, dass diese Stimme gerade ziemlich brüchig klingt. Juán Guaidó, 35, hat sehr viel geredet in den zurückliegenden anderthalb Wochen. Angefangen mit seinem Schwur auf Gott und die Verfassung am 23. Januar, als er sich selbst zum legitimen Übergangspräsidenten von Venezuela ernannte. Seither versucht er pausenlos, den Rest der Welt sowie die venezolanischen Streitkräfte von seiner Sache zu überzeugen. Das klappt im ersten Fall erstaunlich schnell und ist im zweiten Fall ein ziemlich zäher Prozess. Jetzt ist Guaidó jedenfalls heiser.

Aber das steht ihm eigentlich ganz gut. Er ist ohnehin kein Marktschreier, sondern ein Politiker, der seine Worte sachlich und besonnen vorträgt, der lieber eine Kunstpause zu viel als eine zu wenig macht und der sich von seinem Gegenspieler Maduro auch durch den konsequenten Verzicht auf Kraftausdrücke unterscheidet. An diesem Samstag haucht und hüstelt Guaidó seinem Publikum im Zentrum von Caracas zu: "Der Wechsel ist nahe in Venezuela."

"Die Antwort eines Volkes, das keine Angst mehr hat"

Zehntausende haben sich im Stadtteil Las Mercedes versammelt, um ihren großen Hoffnungsträger mit Nationalflaggen und Stadiontröten zu bejubeln, Hunderttausende sind zur selben Zeit im ganzen Land auf den Beinen - mit dem erklärten Ziel, dem Maduro-Regime den Rest zu geben. Im Gegensatz zu den Massenkundgebungen von 2017 demonstriert hier aber nicht nur die Mittelschicht, neuerdings kommen auch die Ärmsten der Armen von ihren Hügeln herab, um sich den Protesten anzuschließen. Auch deshalb wankt Maduro jetzt wie noch nie, denn das sind die Leute, die er bis eben noch für seine unerschütterliche Basis hielt.

Es ist kein Zufall, dass sich die staatliche Repression derzeit vor allem gegen die Abtrünnigen aus traditionell chavistischen Hochburgen von Caracas wie Catia oder Petare richtet. Die Menschenrechtsorganisation Foro Penal hat dort in den vergangenen zwei Wochen an die tausend Verhaftungen sowie 35 Tote durch Schusswaffen gezählt. Für die meisten Opfer wird die Faes verantwortlich gemacht, eine berüchtigte Spezialeinheit der Polizei. Trotzdem sind die Menschen aus den Armenvierteln auch an diesem Wochenende wieder in Scharen dem Protestaufruf Guaidós gefolgt. Der dankt es ihnen mit dem Worten: "Das ist die Antwort eines Volkes, das keine Angst mehr hat."

Das Gefühl, dass es bröckelt im Staate Maduro, wurde am Samstag durch einen prominenten Seitenwechsel verstärkt. Der Luftwaffengeneral Francisco Yánez gab per Videobotschaft bekannt, er werde fortan die Befehle des "legitimen Übergangspräsidenten" Juan Guaidó befolgen. "90 Prozent der Streitkräfte" hätten sich inzwischen "gegen den Diktator und auf die Seite des Volkes" gestellt, fügte er an. Das mag übertrieben sein, aber Yánez ist der erste hochrangige General, der sich öffentlich gegen Nicolás Maduro ausspricht. Jetzt wird mit Spannung erwartet, ob er damit weitere Dissidenten animiert. Ohne die Loyalität der Armeeführung wäre die Regierung Maduro wohl sofort erledigt.

Es war schon vorher klar, dass dieser 2. Februar 2019 nicht irgendein Tag in der venezolanischen Geschichte sein würde. Exakt 20 Jahre zuvor hatte der 2013 verstorbene Hugo Chávez sein Amt als venezolanischer Präsident angetreten, es ist der Tag, an dem der Chavismus traditionell seine Macht demonstriert. Diesmal ging es vor allem um Schadensbegrenzung. Zwar ließ sich auch Maduro in der Hauptstadt von einer großen Menge feiern. Darunter waren aber erstaunlich viele Senioren, die mit Bussen herbeigekarrt worden waren.

Mit derlei politischen Butterfahrten dürfte es schwer werden, die krisengeplagten Venezolaner doch noch einmal für eine Zukunft mit Maduro zu begeistern. Und auch dessen Ankündigung, noch in diesem Jahr vorgezogene Parlamentswahlen auszurichten, ist keineswegs ein Versöhnungsangebot an die Demokraten im Land, sondern ein weiterer Affront. Im Parlament besitzt die Opposition seit den letzten freien Wahlen, die es in Venezuela gab, eine Zwei-Drittel-Mehrheit. Genau deshalb hat Maduro es ja entmachtet.

Guaidó, der Präsident dieses Parlaments, begeisterte seine Zuhörer am Samstag vor allem mit der Ankündigung von humanitären Hilfstransporten. Sie sollen in Kürze über Kolumbien, Brasilien und "eine Karibikinsel" ins Land gebracht werden, sagte er. Der Vorstoß ist einerseits dringend notwendig und andererseits wohl eine ultimative Machtprobe. Maduro hat sich bislang stets gegen humanitäre Hilfe gewehrt, weil es aus seiner Sicht keine humanitäre Krise, keinen Hunger und keinen Gesundheitsnotstand gibt.

Fest steht, dass kein Hilfstransport ohne Kooperation der venezolanischen Streitkräfte die Grenze passieren kann. Guaidó kalkuliert offenbar so: Wenn die sehnlichst erwarteten Nahrungsmittel und Medikamente erst einmal zum Greifen nahe sind, dann wird die Armee der venezolanischen Bevölkerung nicht mehr verwehren können, sie auch zu verteilen. Dann aber hätte sie de facto die Führungsrolle Guaidós anerkannt.

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