Venezuela:Kleine Kehrtwende

Das Oberste Gericht in Caracas hat die Entmachtung des Parlaments zurückgenommen. Die Opposition sieht darin nur eine kosmetische Korrektur - der Ausnahmezustand bleibt.

Nach scharfem internationalen Protest und Kritik in den eigenen Reihen um Machthaber Nicolás Maduro hat Venezuelas Oberstes Gericht die umstrittene Entmachtung des Parlaments zurückgenommen. Das teilte der Oberste Gerichtshof in Caracas mit. Auch die Aufhebung der Immunität der Abgeordneten wurde rückgängig gemacht. Zuvor hatte der Nationale Sicherheitsrat unter Vorsitz des sozialistischen Staatspräsidenten Maduro eine Überprüfung der international scharf kritisierten Urteile gefordert.

Damit bekommt das von der Opposition dominierte Parlament seine Kompetenzen zurück. Allerdings hatte Maduro zuletzt ohnehin mit Dekreten regiert - und der Gerichtshof viele Parlamentsentscheidungen annulliert. Die Opposition sieht nur eine kosmetische Korrektur, um einen "Staatsstreich" auf Raten zu kaschieren. "Das Urteil war nur der Höhepunkt eines Staatsstreichs, der seit Monaten und Jahren in Venezuela im Gange ist", sagte Parlamentspräsident Julio Borges am Samstag auf einer Demonstration in Caracas. Tausende forderten ein Ende der Präsidentschaft Maduros, es kam zum Einsatz von Tränengas.

Maduros Kritiker sehen in der Kehrtwende ein Zeichen dafür, dass der Sozialist den Bogen überspannt hatte und nun zurückrudert. Der ungewöhnliche Vorgang zeugt auch von Rissen im Machtapparat der seit 1999 regierenden Sozialisten. Das Land mit den größten Ölreserven der Welt ist unter Maduro in eine dramatische Versorgungskrise gerutscht. Die Inflation ist die höchste der Welt. Maduro macht für den Mangel an Lebensmitteln, Brot und Medikamenten einen "Wirtschaftskrieg" des Auslands und den niedrigen Ölpreis verantwortlich, er bat zuletzt sogar die Vereinten Nationen um die Lieferung von Medizin. Wegen der Geldentwertung des Bolívar können Importe kaum noch bezahlt werden. Die Opposition hatte die Parlamentswahl 2015 klar gewonnen.

Die südamerikanische Wirtschaftsunion fordert die Achtung der Gewaltenteilung

Der Ausnahmezustand, der Maduro Sondervollmachten gibt, wurde nicht zurückgenommen. Der Sicherheitsrat hatte betont, Ziel sei es, die "institutionelle Stabilität und das Gleichgewicht der staatlichen Gewalten" aufrechtzuerhalten. Dies war auch eine Reaktion auf die massive Kritik der Generalstaatsanwältin Luisa Ortega Díaz, die das Urteil öffentlich als "Verfassungsbruch" angeprangert hatte.

Der von den Sozialisten kontrollierte Gerichtshof hatte am Mittwoch der Nationalversammlung ihre Kompetenzen entzogen und auf sich selbst übertragen. Außerdem hob das Gericht die Immunität der Abgeordneten auf. Das Gericht hatte dem Parlament Respektlosigkeit und unzureichende Zusammenarbeit mit den anderen Staatsgewalten vorgeworfen.

Als Folge des Urteils hätte der auch in eigenen Reihen umstrittene Nachfolger des 2013 verstorbenen Hugo Chávez eine enorme Machtfülle bekommen. Zunächst hatte der 54-Jährige das Urteil verteidigt: "Die Revolution wird sich konsolidieren." Er bezeichnete die Opposition als "rechte Putschisten", die schon Champagner kalt gestellt hätten. Der ehemalige Außenminister Maduro war 2013 mit einem knappen Wahlsieg an die Macht gekommen. Die Beliebtheit des früheren Busfahrers ist seitdem massiv gesunken. Er selbst beschuldigt die USA, ihn entmachten lassen zu wollen, und sprach von einem "politischen Lynchmord".

Die südamerikanische Wirtschaftsunion Mercosur, dessen Mitglied Venezuela ist, verurteilte in einer Dringlichkeitssitzung der Außenminister Brasiliens, Argentiniens, Paraguays und Uruguays den "Bruch der demokratischen Ordnung" und forderte die vollständige Achtung der Gewaltenteilung und einen Fahrplan für Wahlen.

Ein Zusammenschluss von 51 Nichtregierungsorganisationen forderte unterdessen die Richter des Obersten Gerichtshofs zum Rücktritt auf. Das Gericht, habe einen schweren Verstoß gegen die Verfassung begangenen. Mitglieder des Parlaments in Venezuela kündigten für diesen Sonntag eine gemeinsame Erklärung an.

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