Süddeutsche Zeitung

Proteste gegen Maduro:Venezuelas Parlamentspräsident Guaidó erklärt sich zum Staatschef

  • Der venezolanische Oppositionsführer Juan Guaidó hat sich selbst zum Interims-Präsidenten erklärt.
  • US-Präsident Donald Trump erkennt Guaidó umgehend an und wendet sich mit einer Botschaft an Amtsinhaber Nicolás Maduro.
  • Guadió vertrete nun das "einzige legitime" Staatsorgan des Landes, weil er "ordnungsgemäß" vom venezolanischen Volk gewählt worden sei.

Von Benedikt Peters

Der Parlamentspräsident und Oppositionsführer des südamerikanischen Krisenlandes Venezuela, Juan Guaidó, hat sich am Mittwoch vor Tausenden Anhängern selbst zum Interims-Staatschef erklärt. Er übernehme formell die Verantwortung für die nationale Exekutive, erklärte der 35-Jährige mit erhobener Hand. US-Präsident Donald Trump erkannte Guaidó umgehend als Übergangspräsidenten Venezuelas an, genau wie die Organisation Amerikanischer Staaten (OAS).

Zehntausende Menschen demonstrierten in der Hauptstadt Caracas gegen den amtierenden Präsidenten Nicolás Maduro und forderten seinen Rücktritt. Die Teilnehmer der Demonstration machten ihrem Unmut über die sprunghaft angestiegene Inflation und den Mangel an Dingen des täglichen Lebens Luft. Maduro warfen sie vor, seine Macht zu missbrauchen. Die Nationalgarde setzte Tränengas ein.

Für Maduro könnte es nun ungemütlich werden: US-Präsident Donald Trump erklärte, von nun an vertrete Guadió als Parlamentspräsident "das einzige legitime" Staatsorgan des Landes, weil er "ordnungsgemäß" vom venezolanischen Volk gewählt worden sei, wie es in einer vom Weißen Haus veröffentlichten Erklärung hieß.

Er rief Maduro zu einer friedlichen Machtübergabe auf und drohte dem Sozialisten andernfalls mit schweren Konsequenzen. "Alle Optionen sind auf dem Tisch", sagte Trump. Er rief andere Regierungen im Westen dazu auf, Guaidó ebenfalls als Übergangspräsidenten anzuerkennen. US-Außenminister Mike Pompeo forderte die Sicherheitskräfte in Venezuela auf, einer friedlichen Machtübergabe nicht im Wege zu stehen. Pompeo appellierte an das Militär und andere Sicherheitskräfte, "die Demokratie zu unterstützen und alle Bürger Venezuelas zu schützen". Doch Venezuelas Verteidigungsminister Vladimir Padrino betonte, das Militär erkenne Guaidó nicht an. Maduro ordnete an, die diplomatischen Beziehungen seines Landes zu den USA abzubrechen. "Die imperialistische US-Regierung will eine Marionettenregierung in Venezuela einsetzen", sagte Maduro.

In Caracas kam es zu Zusammenstößen zwischen der Polizei und oppositionellen Demonstranten. Sicherheitskräfte setzten Tränengas und Gummigeschosse gegen Anhänger Guaidós ein. Am Vormittag hatten sowohl Anhänger Guaidós als auch Maduros in Caracas demonstriert. Zuvor waren bei nächtlichen Protesten vier Menschen ums Leben gekommen, darunter ein 16 Jahre alter Junge. Millionen Venezolaner wollen Maduro schon länger loswerden. Seit Jahren leiden sie unter einer Wirtschafts- und Versorgungskrise, es fehlt an Lebensmitteln, Medikamenten, selbst an Toilettenpapier. Diejenigen, die ihrem Unmut Luft machen, werden drangsaliert. Maduro ließ das von der Opposition dominierte Parlament entmachten, Regimekritiker und unliebsame Journalisten wurden oft eingesperrt. Etwa drei Millionen Menschen haben Schätzungen zufolge bisher das Land verlassen.

Die Lage in Venezuela war bis vor Kurzem festgefahren. Proteste ließ Maduro blutig niederschlagen. Seine Unterstützer hielt er mit staatlich finanzierten Lebensmittelpaketen bei Laune, und die Opposition war sich in ihrer Strategie uneinig. Das änderte sich Anfang Januar, als der bis dahin wenig bekannte Guaidó die Bühne betrat. Er hatte gerade den Vorsitz des nur noch symbolisch tagenden Parlaments übernommen und nutzte die mediale Aufmerksamkeit für die Vereidigung des autoritären Staatschefs Maduros, um diesem den Krieg zu erklären. Guaidó nannte den Staatschef einen "Thronräuber" - eine Anspielung darauf, dass es bei der Präsidentschaftswahl nicht demokratisch zugegangen war. Er bat die Bürger, die Streitkräfte und die internationale Gemeinschaft um Unterstützung, um "die widerrechtliche Machtergreifung zu beenden."

Einen Wechsel in Venezuela würden auch zahlreiche Regierungen anderer Länder begrüßen. Neben den USA hatten einige lateinamerikanische Staaten und die EU Maduros Präsidentschaft nicht mehr anerkannt. "Nicolás Maduro ist ein Diktator, dessen Machtanspruch jede rechtliche Grundlage fehlt", sagte zum Beispiel US-Vizepräsident Mike Pence jüngst.

Beobachter bezweifeln aber, dass solche Botschaften etwas bewirken - erst recht, wenn sie aus Washington kommen. Sie weckten Erinnerungen an vergangene Jahrzehnte, in denen die USA Lateinamerika als Hinterhof betrachteten und sich nach Gutdünken in die Belange der Länder einmischten. Das Gerede sei "kontraproduktiv", sagt etwa die Lateinamerika-Wissenschaftlerin Sabine Kurtenbach; es helfe Maduro, sich als Beschützer der Nation vor dem US-Imperialismus zu gerieren.

Wie das aussieht, zeigte Maduro schon Stunden nach Pence' Äußerung. Dessen Rede nahm er zum Anlass, eine Pressekonferenz einzuberufen und Maßnahmen "zur Verteidigung der nationalen Souveränität" anzukündigen. Im Hintergrund sangen Unterstützerinnen "das Vaterland verteidigt sich". Es wirkte wie der Versuch einer Vorab-Rechtfertigung, sollte Maduro vorhaben, auch die neue Protestwelle blutig niederschlagen zu lassen.

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SZ vom 24.01.2019/jael
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