Süddeutsche Zeitung

Coronavirus in Venezuela:Lockdown ohne Strom und Wasser

Die Corona-Pandemie macht die Krise in Venezuela noch verheerender. Die Menschen leiden unter der Ausgangssperre, und in den Krankenhäusern gibt es nicht einmal Bettwäsche.

Von Benedikt Peters

Neulich wandte sich der Staatschef mit einem Ratschlag an das darbende Volk. Um gut durch die Zeit der Ausgangssperre zu kommen, könnten sie doch einfach Netflix schauen, empfahl Nicolás Maduro den Venezolanern. Sehr gut sei etwa die Serie "Haus des Geldes" aus Spanien, er habe die vierte Staffel gerade mit seiner Frau geguckt.

Manch einer mag sich gewundert haben, wie der autoritäre Herrscher die Zeit findet, mitten in der Corona-Krise stundenlang Serien zu schauen. Wer darüber hinaus verstehen möchte, wie hilfreich der präsidiale Ratschlag ist, der kann bei Menschen wie Esperanza García anrufen. Sie erzählt dann, wie es ist, nur drei Stunden am Tag Strom zu haben. "Wenn es welchen gibt, dann musst du schnell kochen", sagt sie. Die 65-Jährige aus San Cristóbal im Westen Venezuelas isst nicht mehr dann, wenn sie Hunger hat. Sondern dann, wenn der Herd funktioniert. Und natürlich kann sie auch kein Netflix schauen, denn ohne Strom gibt es kein Internet.

In einem Krankenhaus in der Hauptstadt soll inzwischen eine Katzenplage grassieren

Venezuela gehört zu den Ländern auf der Welt, die in der Corona-Krise am stärksten gefährdet sind. Die offiziellen Infektionszahlen sind zwar noch niedrig, am Freitag verzeichnete die Johns-Hopkins-Universität 311 Infizierte und zehn Tote. Die Not ist aber schon jetzt besonders groß. Eine Venezolanerin sagt: "Das Problem ist, dass wir seit Jahren im Ausnahmezustand leben. Und jetzt kommt noch ein weiterer Ausnahmezustand hinzu." Durch Korruption und Misswirtschaft hat Maduro das Land seit 2013 in eine schwere Versorgungskrise geführt. Die Wirtschaft schrumpfte seitdem um zwei Drittel, es fehlt schlicht an allem, weite Teile der Bevölkerung leben in Armut. Corona, das zeigt sich in diesen Wochen, macht alles nur noch schlimmer.

Esperanza García sagt, dass jetzt noch mehr Leute an ihrem Häuschen in San Cristóbal vorbeikommen und um Essen bitten. Dass sie durch das Fenster Menschen sehen kann, die verzweifelt im Müll wühlen. Aber was soll sie tun? Sie habe ja selbst kaum genug zum Leben, sagt sie, gerade jetzt, da wieder alles teurer geworden ist. Die 65-Jährige bekommt eine Rente von 250 000 Bolivares im Monat, erzählt sie. Ein Karton Eier koste auf dem Markt inzwischen 460 000. Nur mit staatlichen Lebensmittelpaketen und gelegentlicher Hilfe von Verwandten im Ausland gelinge es ihr, sich irgendwie über Wasser zu halten.

Dass die Lebensmittel auf den Märkten in San Cristóbal in den vergangenen Wochen noch einmal teurer geworden sind, hat auch mit Corona zu tun. Die 400 000-Einwohner-Stadt hat bisher von ihrer Lage profitiert, knapp 50 Kilometer vor der Grenze zu Kolumbien. Früher fuhren die Menschen ins Nachbarland und besorgten sich dort die Dinge, die es in Venezuela nicht mehr gab. Viele machten ein Geschäft daraus und verkauften die Waren in Venezuela weiter. Seit Ausbruch der Pandemie aber ist die Grenze zu.

Die wenigen Händler, die es illegal nach Kolumbien und zurück schaffen, verlangen jetzt Risikoaufschläge, außerdem herrscht landesweit Benzinmangel. Viele Venezolaner haben jetzt noch weniger Geld in der Tasche. Die Überweisungen von Verwandten aus dem Ausland gehen durch die Corona-Krise zurück. Jobs gehen verloren, Ökonomen sagen voraus, dass die venezolanische Wirtschaft in diesem Jahr um weitere 15 Prozent schrumpfen wird. Längst entlädt sich der Druck auch auf der Straße, es kommt zu Plünderungen von Geschäften und Tumulten, zuletzt am Donnerstag in der ostvenezolanischen Kleinstadt Upata. Ein Mann wurde dabei getötet.

"Es ist wirklich traumatisch", sagt Esperanza García, "und die Quarantäne macht es schlicht unerträglich." Bis mindestens Mitte Mai dürfen die Venezolaner ihre Häuser nur vormittags verlassen, um Lebensmittel zu kaufen oder in die Apotheke zu gehen. Danach sitzen sie in ihren Wohnungen oder Hütten, in denen nicht nur der Strom ausfällt, sondern auch immer wieder das Wasser. Seife ist längst zum Luxusgut geworden, Esperanza García kann sie sich schon seit Wochen nicht mehr leisten. Und jetzt ist seit fünf Tagen auch noch die Zahnpasta aus.

Decken, Kissen und Mahlzeiten müssen die Patienten selbst mitbringen

Das venezolanische Gesundheitssystem ist auf eine Pandemie in keiner Weise vorbereitet. Ein entsprechendes Ranking des britischen Economist listet das Land auf Platz 176 von 195. Die Kliniken seien schon vor Corona überfüllt gewesen, erzählt Cecilia Rojas (Name geändert), angehende Ärztin in Caracas, am Telefon, viele Kranke seien abgewiesen worden. Drinnen fehlen "nicht nur Medikamente", sagt sie, "es gibt nicht einmal Mahlzeiten für die Patienten, keine Bettdecken, keine Kissen. Das müssen die Leute selbst mitbringen". Es fehle an Schutzkleidung für das Personal. Im Hospital Vargas, früher eine der besten Kliniken Lateinamerikas, grassiere inzwischen eine Katzenplage.

Die Regierung in Caracas hat erkannt, dass sie zusehends in Not gerät. Im März bat sie den Internationalen Währungsfonds um einen Kredit von fünf Milliarden Dollar, um die Krise zu lindern. Doch der lehnte ab, weil einige Mitgliedsstaaten Maduro nicht mehr als legitimen Staatschef anerkennen. Allen voran die USA halten es stattdessen mit Juan Guaidó, der Maduro im vergangenen Jahr Wahlbetrug vorwarf und sich selbst zum Staatschef erklärte. Guaidó schaffte es aber nie, Maduro zu stürzen. Die US-Regierung sieht nun anscheinend die Chance für einen neuen Anlauf gekommen.

Zusätzlich zu den scharfen Wirtschaftssanktionen setzte sie Ende März ein Kopfgeld auf Maduro und andere führende Chavisten aus, denen sie Drogengeschäfte vorwirft. 15 Millionen Dollar soll derjenige bekommen, dessen Hinweise zur Ergreifung Maduros führen. Beobachter befürchten allerdings, dass sich der autoritäre Herrscher dadurch noch fester an die Macht klammert. Verliert er sie, muss er befürchten, in einer Zelle in den USA zu enden. Kürzlich kündigte er an, es sei nicht sicher, ob die Parlamentswahl Ende des Jahres stattfinden könne, offiziell wegen der Pandemie.

Esperanza García sagt, ihr sei nicht wichtig, welche Politiker in Caracas regieren. Sondern, dass die Dinge endlich wieder funktionierten. Dass es wieder Strom gebe und erschwingliche Lebensmittel. "Ich fürchte, uns hilft nur ein Wunder Gottes."

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Quelle:
SZ vom 25.04.2020/bepe
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