Was das heißt, lässt sich in Utrecht sehen, 345 000 Einwohner, 40 Prozent Radanteil beim Verkehr, gerade zur zweitfahrradfreundlichsten Stadt der Welt (nach Kopenhagen) ernannt. Die Innenstadt ist in weiten Teilen autofrei, die breiten Velo-Arterien nutzen täglich bis zu 150 000 Radler. Auf vielen Straßen im Stadtbereich sind Automobilisten nur noch "Gäste" der Radfahrer.
Auch beim Umbau des Areals um den Hauptbahnhof steht das Interesse der Radfahrer im Vordergrund. Ein Fahrrad-Parkhaus mit 4500 Abstellplätzen ist fertig, drei weitere folgen bald, dann kommen 20 000 Radler unter, Weltrekord. Schilder zeigen freie Plätze an, das System ist simpel zu benutzen und während der ersten 24 Stunden umsonst. Die Kosten für Bau und Betrieb teilen sich die Stadt und die Bahn. Pendeln leicht gemacht, Anzugträger willkommen.
Auch in der Architektur heißt es umdenken. Wer durch niederländische Neubau-Viertel fährt, sieht kaum Garagen, aber viele Radstellplätze. Je näher an der Innenstadt ein Bauprojekt liegt, desto weniger Auto-Parkplätze muss es haben, während bei Bürobauten eine bestimmte Zahl von Fahrrad-Parkplätzen Pflicht ist.
Trotz allem bleiben die Niederländer stets pragmatisch. "Nicht immer die teuerste und beste Lösung suchen", nennt das Martijn te Lintelo, der den 16,5 Kilometer langen Schnellweg zwischen Arnheim und Nimwegen geplant hat. Auch mal kleine Umwege in Kauf nehmen, um Anwohner nicht zu verärgern. Manchmal tut es eine Kreuzung, wo man lieber einen Tunnel gehabt hätte. Oder eine Fahrradbrücke wird nicht neu gebaut, sondern, wie in Nimwegen, an eine Eisenbahnbrücke drangeschraubt.
Das Rad ist auch Lifestyle- und Wohlfühl-Objekt
Und noch etwas lehrt das Beispiel Niederlande: Man darf die Sache bei aller Zielstrebigkeit nicht zu verbissen angehen. Das Rad ist auch Lifestyle- und Wohlfühl-Objekt. Auf der Konferenz in Nimwegen wurde es als Symbol der Freiheit gefeiert. Entsprechend sollte idealerweise allen cyclopolitischen Anstrengungen ein Element von Lockerheit, Lässigkeit innewohnen. Kleine Dinge wirken groß: etwa eine App, die Radpendler belohnt; oder ein System wie "Flo" in Utrecht, das Radlern das Tempo für eine grüne Welle anzeigt. Es ist eklatant, wie gelassen es zugeht auf niederländischen Radwegen. Das Phänomen Kampfradeln ist unbekannt. Deswegen meint man auch, komplett auf Helme verzichten zu können. Selbst König Willem-Alexander fuhr oben ohne bei der Eröffnung in Nimwegen. "Der Wind muss frei durchs Haar wehen", heißt die Devise, auch bei Kälte und Regen. Über die unbequeme Sitzhaltung, die sich viele Deutsche glauben antun zu müssen, wundern sich die Niederländer übrigens. Sie sind sich sicher, dass man aufrecht entspannter ans Ziel kommt.