Verkehrsminister Scheuer:Ich geb' Gas

Tag der offenen Tür der Bundesregierung

Autofreunde: Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (vorne) und Formel-1-Weltmeister Nico Rosberg.

(Foto: Gregor Fischer/dpa)
  • Verkehrsminister Andreas Scheuer hat eine Schlüsselposition. Die Autoindustrie steht vor dem größten Wandel ihrer Geschichte, Scheuer könnte die Verkehrswende einleiten.
  • Doch der CSU-Politiker gibt weiter Gas, für seinen forschen bis ruppigen Politikstil gibt es viele beispielhafte Momente.
  • Wenn Chancen für mehr Distanz zur Autoindustrie kommen, lässt Autofreund Scheuer sie verstreichen.

Von Markus Balser, Berlin/Frankfurt

Der Held der Straße steht an diesem Morgen neben dem Verkehrsminister. Lutz Kluge, 55, grauer Pferdeschwanz, erzählt im Lichthof des Ministeriums von dramatischen Minuten im August. Auf der A 13 Richtung Dresden wurde ein Auto in den Wald geschleudert. Kluge rannte hin und sah Flammen. "Da hat man 30 Sekunden, dann brennt es lichterloh", sagt er. Auch wegen des nahen Tanks. Kluges Hose fing Feuer. In letzter Minute löste er den Gurt, befreite den Fremden. Solche Leute braucht das Land. "Nicht einfach stehen bleiben. Durchstarten, Verantwortung übernehmen. Seid auch so!", sagt Andreas Scheuer in die aufgebauten Kameras. Gleich soll Kluge eine Belohnung für den Einsatz erhalten, etwas mit Symbolwert. Es könnte ein Feuerlöscher sein oder eine Bahncard 100. Was Scheuer überreicht? Einen 5000-Euro-Benzingutschein - gesponsert von Aral.

Unfall wegstecken, Gas geben, weiterfahren. Das scheint auch die politische Maxime des Ministers für Verkehr und Digitale Infrastruktur zu sein. Nichts hat das zuletzt so deutlich werden lassen wie sein Umgang mit dem Appell von gut 100 Lungenärzten, Grenzwerte zu hinterfragen. Scheuer unterstützte ihn ungeprüft, obwohl er sich schnell als fehlerhaft erwies. Den Minister kümmerte das wenig. Er hatte die gewünschte Schlagzeile.

Da ist aber auch die Debatte um höhere Benzinpreise und ein bundesweites Tempolimit für mehr Klimaschutz. Scheuer sah darin Vorschläge gegen jeden Menschenverstand. Die Botschaft ist immer gleich: Dieser Minister bremst nicht, schon gar nicht, wenn es um die Autobranche geht.

Ein Jahr ist Andreas Scheuer am 14. März im Amt. Es könnte die Krönung seiner Karriere sein. Der Verkehrsminister ist zur Schlüsselposition geworden. Die Autoindustrie, die wichtigste im Land, steht vor dem größten Wandel ihrer Geschichte. Digitalisierung und neue Antriebe werden vieles verändern. Rekordstaus und Widerstand gegen schlechte Luft in Städten erhöhen den Druck. Scheuer sitzt am Hebel. Er führt ein Ministerium mit 60 angeschlossenen Behörden. Er ist praktisch Eigentümer der Deutschen Bahn. Er steuert Ausgaben eines Milliardenhaushalts. Er könnte vieles verändern, die Verkehrswende einleiten. Doch der Minister verschenkt Benzin.

Der vergangene Mittwochabend im Frankfurter Palmengarten, ein typischer Auftritt. Ein schneller Handschlag, ein Augenzwinkern. Servus! Scheuer durchschreitet den pompösen Festsaal beim Empfang eines Logistik-Kongresses. Spediteure sind da, Lkw-Hersteller, Flughafenbetreiber. Scheuer ist bei solchen Auftritten einer von ihnen. "Mein Ziel ist, dass wir Logistikweltmeister bleiben", sagt der Minister. "Wir müssen auch den Bürgern klar sagen: Ohne Logistik geht nichts in diesem Land." Applaus. Scheuer passt gut in diese hemdsärmelige Welt. Er verleiht einen Forscherpreis - und angelt sich das Mikro: "Sie wissen schon, dass die Summe auch höher ausfallen kann, wenn Ihre Studenten positiv über das Ministerium reden", sagt er einem verdutzten Professor.

Es sind kurze Momente, die einiges aussagen über das Selbstverständnis des Ministers. Über seinen forschen bis ruppigen Politstil. Über Geben und Nehmen auch jenseits von Scherzen. Scheuer hat das lange trainiert. Von 2013 bis 2018 war er Generalsekretär der CSU. Der Posten bringt es mit sich, dass man schlimme Sprüche lange mit sich herumschleppt. Aber Scheuer hat sich schon ziemlich viel aufgeladen. Das "Schlimmste ist ein fußballspielender, ministrierender Senegalese", den man nie mehr abschieben könne, sagte er mal. Und: "Der Sozi ist grundsätzlich nicht dumm. Er hat nur viel Pech beim Nachdenken."

In der CSU kam das an. Dass er seinen Doktortitel aus Prag nach rechtlichen Bedenken nicht mehr führt, schadete Scheuers Karriere nicht. Dagegen half seine Autoleidenschaft. Kurz vor der Ernennung machte er mit der Übernahme eines grau-blauen 3er BMW von 1987 Schlagzeilen. Es war das Auto von CSU-Ikone Franz Josef Strauß.

Ein Autofreund als Aufseher der Autoindustrie? Für Scheuer selbst ist das kein Widerspruch. Er wurde in Niederbayern groß, einer einst strukturschwachen Region mit vielen Arbeitslosen. Als BMW in den Sechzigerjahren kam, ging es aufwärts. Auch deshalb werde er in Gesprächen mit der Autobranche schon mal deutlich. So sagt es Scheuer. Es gehe jetzt um alles in den nächsten Jahren. "Eine Krise würde massive Einschnitte bedeuten." Nicht für die ganz oben. Sondern für alle, "die jeden Tag durchs Werkstor gehen und am Ende keinen fünfstelligen Betrag auf dem Konto haben". Was für ihn ganz oben auf der Agenda steht? "Den Standort positiv dastehen lassen." So sagt es der Bundesverkehrsminister.

Es ist nicht mal so, dass Scheuer nicht genervt wäre, von den Autobossen, die ihm nicht immer die Wahrheit sagen. Die ihn oft im Regen stehen lassen, etwa im Kampf gegen Fahrverbote. "Mir sind zu wenige Produkte mit alternativen Antrieben unterwegs und in den Läden", sagt der Minister. "Meine Forderung in Sachen Dieselkrise: Macht reinen Tisch auf dem Heimatmarkt, macht reinen Tisch, um Vertrauen zurückzugewinnen. Die Vertrauenskurven gingen ja teilweise schlimmer nach unten als in der Politik. Da muss man sich doch Gedanken machen."

Der Minister ahnt, dass es einen Kulturkampf um die Straßen geben könnte

Doch wenn Chancen für mehr Distanz kommen, verstreichen sie wie an jenem Abend Ende Januar. Der Auto-Lobbyverband VDA feiert in Berlin in einer Oldtimer-Garage. Es ist Tradition, dass der Verkehrsminister neben getunten BMW-Rallyewagen und alten Mercedes-Cabrios zu den Autobossen spricht. Die Branche müsse endliche bezahlbare Elektroautos liefern. Tempolimit, höhere Spritpreise? "Zu retro", sagt der Minister. Die Manager nicken. "Heute, Herr Scheuer", sagt VDA-Präsident Bernhard Mattes, "sind Sie nur unter Freunden."

Jenseits dieser gut verdrahteten Welt kommen Scheuer die Freunde allerdings immer mehr abhanden. Der Koalitionspartner regt sich über schlecht vorbereitete Bahn-Treffen auf. Vor dem Ministerium spreche man von Krisengesprächen, drinnen fände eher ein Brainstorming statt, wundert man sich selbst bei der Bahn. Und auch in der CSU sind sie nicht glücklich mit Scheuers Kurs. Als der Minister zur Klausurtagung der CSU-Parteifreunde im Januar nach Kloster Banz reiste, wurde es laut Teilnehmern hitzig. Landtagsabgeordnete hätten sich reihenweise beschwert, erinnert sich ein Teilnehmer. Die Dieseldebatte dauere zu lange. Scheuer solle sich mehr für Dieselfahrer einsetzen.

Dabei ist die Linie klar: Es müssen radikale Veränderungen her - und weniger Diesel. Nach dem Klimaschutzplan 2050 der Bundesregierung muss der Verkehr seine Emissionen bis 2030 um 40 bis 42 Prozent gegenüber 1990 senken. Bisher gab es stattdessen einen leichten Anstieg.

Es gibt Momente, in denen Scheuer die Last anzumerken ist

Wie angespannt die Nerven im Ministerium sind, wurde kürzlich klar. Nach dem Wirbel um die geleakten Tempolimitvorschläge einer Regierungskommission wurden die Regeln verschärft. Papiere werden nur noch mit eingebauten Hinweisen auf den Empfänger verschickt, um die Veröffentlichung zu verhindern.

Es gibt Momente, in denen Andreas Scheuer die Last anzumerken ist. Der Auftritt in Frankfurt ist erst ein paar Minuten her. Scheuer kommt in einem Nebenraum zur Ruhe. Keine Kamera, kein Publikum. Und keine Witze mehr. Wie er sein erstes Jahr als Minister bewertet? "Das war knackig. Sehr knackig. Wenn ich in Frankfurt lande und aus dem Fenster sehe, wie vernetzt Mobilität in einer Metropole funktionieren muss, wird auch klar, wie viel daran hängt - für die Menschen und unsere Wirtschaft. Das muss man gut machen."

Doch darüber, was gut ist, gibt es Streit. In den Städten, wo es Alternativen gibt, wenden sich immer mehr Deutsche vom eigenen Auto ab. Sie stehen gegen Pendler, die Beschäftigten der Autobranche und Kleinunternehmer, deren Existenz am Auto hängt - und denen wegen Fahrverboten Stillstand droht. "Bloß keine Gelbwestenbewegung", heißt es aus dem Verkehrsministerium. Scheuer ahnt, dass es einen Kulturkampf ums Auto geben könnte.

Im Ministerium zieht man seine eigenen Schlüsse. Man "modernisiere" die Kommunikation, heißt es. Die Bürger will Scheuer mit eigenen Twitter-Kanälen und Videos erreichen. Vorbei an klassischen Medien und kritischen Fragen. Es geht darum, die Stimmung im Land möglichst in die eigene Richtung zu steuern. In einen Besprechungsraum des Ministeriums hat man einen "Newsroom" gebaut - mit TV-Studio. Geleitet wird das Projekt von einem ehemaligen Bild-Journalisten.

Auch Lutz Kluge, der Mann mit dem Fahrradsymbol auf dem T-Shirt, lief auf allen Kanälen. Als "Held der Straße". Scheuer interviewte ihn, fragte nach Details der Rettung. Wirklich zugehört hat man dem Ingenieur allerdings nicht. Was er vom Preis für seinen Mut hält, verrät er später diskret: "Ich hatte dem Ministerium gesagt, dass mir ein Fahrrad lieber wäre."

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